Transfer erfolgreich organisieren

Wissens- und Technologietransfer stehen hoch im Kurs. Sie gelten als Schlüssel für Innovationen, als Schlüssel für neue Dienstleistungen und Produkte auf dem Weg in den Markt. Was aber macht erfolgreichen Transfer aus und welche Instrumente für erfolgreichen Transfer gibt es? Prof. Dr. Caroline Häussler, Inhaberin des Lehrstuhls für Organisation, Technologiemanagement und Entrepreneurship an der Universität Passau und Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), und Dr. Dieter Labruier, Fachbereichsleiter Neue Innovationsstrukturen im Geschäftsbereich Hochschulen, Innovationsstrukturen, Gesundheit beim Projektträger Jülich (PtJ), geben einen Einblick in ihr breites Transferverständnis, skizzieren die Herausforderungen und erläutern, wie Transfer erfolgreich organisiert werden kann.

Was verstehen Sie im innovationspolitischen Kontext unter dem Begriff Transfer?

Dr. Dieter Labruier: Der Begriff Transfer ist sehr allgemein, sehr generisch und wir codieren häufig Wissens- und Technologietransfer unter dem Begriff. Damit meinen wir: Wie kann man aus Forschungsergebnissen Produkte und Dienstleistungen machen? Wir denken häufig eindimensional entlang linearer Innovationsketten. Der Begriff muss aber mehrdimensional gedacht werden. Idealerweise reden wir also nicht von Innovationsketten, sondern von Innovationsnetzen oder Wertschöpfungsnetzen. Die gesellschaftliche Akzeptanz von Innovation als Ergebnis des Transfers ist dabei eine weitere Dimension, die es sehr früh mitzudenken gilt.

Prof. Dr. Carolin Häussler: Ich habe ebenfalls ein sehr breites Verständnis von Transfer, wobei ich Transfer ganzheitlich und systemimmanent verstehe. Ganzheitlich meint den gesamten Prozess, der die Übertragung von Wissen und Technologie in Forschung und Entwicklung und dann in Wirtschaft und Gesellschaft umfasst. In Deutschland herrscht teilweise ein sehr wörtliches Verständnis vor, nämlich Transfer ist einseitig gerichtet und geht von A nach B. Diese Vorstellung fokussiert meist nur auf den Output und dabei wird übersehen, dass schon transferierbare Erkenntnisse und Werkzeuge im Prozessverlauf entstehen. Wichtig ist, dass bereits im Rahmen des Produktionsprozesses ein intensiver Austausch als Voraussetzung für Transfer erfolgen muss. Insofern favorisiere ich ein breites Verständnis, das eher von Austausch oder Engagement spricht.

Was sind denn konkrete Netzwerk- bzw. Engagement-Instrumente, wenn man mit diesem Verständnis auf den Begriff Transfer schaut?

Dr. Dieter Labruier: Als Werkzeuge haben wir natürlich im kleinen Rahmen die Verbundprojektförderung. Das ist ein bewährtes Instrument aus zwei bis zwölf Akteuren, die miteinander kooperieren und ein bestimmtes Ziel verfolgen – meist aber in einer geschlossenen Gruppe. Einen Mehrwert erreichen Netzwerke besonders dann, wenn sie als offene, dynamische Systeme angelegt sind. Regionale Cluster sind hierfür ideale Systeme. Sie repräsentieren große Teile einer Wertschöpfungskette oder eines Wertschöpfungsnetzes. Sie erfordern daher eine vertrauensbasierte Zusammenarbeit und fördern eine offene Innovationskultur. Ein besonderes Instrument der lokalen Zusammenarbeit ist der Industry-on-Campus-Ansatz in unseren Forschungscampi, der auf die Forschungsinfrastrukturen und -kompetenzen der Hochschulen und Forschungseinrichtungen zielt. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen und Start-ups, die sonst kaum Zugang zu solchen Infrastrukturen haben, profitieren von der gelebten offenen Innovationskultur.

Prof. Dr. Carolin Häussler: Transfer wird oft nur da gesehen, wo es um Dienstleistungs- oder Produktinnovationen geht. Das aber greift eben viel zu kurz. Wenn man den Transfer systemimmanent und ganzheitlich sieht, dann bezieht er sich auf den ganzen wissenschaftlichen Entstehungsprozess und spielt in der Grundlagenforschung genauso eine Rolle wie bei Dienstleistungs- oder Produktinnovationen. Wenn wir schon viel früher – also bereits bei der Grundlagenforschung – Austausch organisieren, dann kommen wir natürlich auch viel schneller zu einem Transferergebnis. Das ist ein ganz wichtiges Instrument, um wissenschaftliche Erkenntnisse schneller in Wirtschaft und Gesellschaft zu übertragen. Dabei müssen wir den Wissenstransfer idealerweise insgesamt wettbewerblicher und unternehmerischer aufstellen.

Den Transfer von der Forschung in die Anwendung stärken – so lautet auch eines der innovationspolitischen Ziele der Zukunftsstrategie Forschung und Innovation der Bundesregierung. Welche Relevanz hat das Thema aus Ihrer Sicht?

Prof. Dr. Carolin Häussler: Für Deutschland ist das Thema besonders relevant, weil wir in Deutschland dieses sogenannte Transferproblem haben. Das sieht man an zwei Symptomen: Zum einen haben wir exzellente Forschung. Wenn wir uns in vielen Bereichen die wissenschaftlichen Publikationen anschauen, dann ist Deutschland wirklich gut aufgestellt. Aber wir bekommen Forschungsergebnisse einfach nicht schnell genug in die Anwendung. Das ist heute aber dringlicher denn je, denn wir sind in einer enormen Transformationsphase, getrieben durch eine ganze Reihe an gesellschaftlichen Herausforderungen. Alle Hoffnung ruht dabei auf der Wissenschaft. Aber dafür müssen wir wissenschaftliche Erkenntnisse eben sehr zügig in Produkte und Prozesse überführen. Das zweite Problem wird deutlich, wenn Uğur Şahin von Biontech sagt, er sei ein Wanderer zwischen den Welten, zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Wir müssen dieses Wandeln zwischen Welten so einfach wie möglich machen, um den Transformationsstau aufzulösen.

Wir müssen mutiger sein, weniger zögern und mehr experimentieren.

Prof. Dr. Carolin Häussler

Was könnten drei zentrale Ansätze sein, um aus den Schwächen rauszukommen und die Stärken mehr zum Tragen zu bringen?

Prof. Dr. Carolin Häussler: Wir müssen strategischer vorgehen. Wir sollten entscheiden, in welchen Bereichen wir vorne mit dabei sein wollen und diese Bereiche sollten wir dann systematisch ausbauen. Da hilft die Missionsorientierung aus der Zukunftsstrategie. Die Missionen sind zwar noch sehr breit und noch nicht wirklich handlungsleitend, aber ich glaube, sie helfen uns auf ein klares Ziel zu fokussieren. Das Zweite ist: Es gibt ganz viele Stellen, an denen etwas verhindert wird, und es gibt wenig Stellen, an denen etwas beschleunigt wird. Wir müssen regulatorische Hürden abbauen, Prozesse standardisieren und, wo es geht, eher etwas zulassen, als zu lange etwas zu verhindern. Andere Länder sind da deutlich schneller. Deswegen der dritte Punkt: Wir müssen mutiger sein, weniger zögern und mehr experimentieren. Wir sind Weltmeister des Inkrementellen – wir müssen aber in den Zukunftstechnologien schneller vorankommen und dann auch mal die sein, die nicht nur wissenschaftlich die Grundlage legen, sondern auch die Anwendungen in unserem Land starten lassen.

Als Projektträger entwickelt PtJ Förderprogramme und vor allem auch Förderverfahren mit. Was können wir zum Transfer beitragen?

Dr. Dieter Labruier: Wir kennen uns in der wissenschaftlichen Praxis aus, sind aber auch Teil der Verwaltungspraxis, und da sind wir ein ganz wichtiger Stakeholder. Und ich glaube, im Zusammenspiel mit den Ministerien als oberste Verwaltungsbehörden und mit den Rechnungshöfen, als „Hüter“ der Haushalte und damit unserer Steuergelder, haben wir noch erhebliches Potenzial, Förderverfahren zu beschleunigen und zu entbürokratisieren. Und da sind wir wieder bei Transfer und bei Netzwerken: Denn dieser Philosophie des Transfers und des Netzwerkens müssen wir auch selbst gerecht werden, um unsere Erfahrungen in die Diskussion aktiv einzubringen. Gleichzeitig sind wir als Projektträger aber an konkrete Fördermaßnahmen und Regelungen gebunden und können daher nicht so handeln, wie es vielleicht sinnvoll wäre.

Im aktuellen EFI-Gutachten wird unter anderem mehr Spielraum für Projektträger bei der Umsetzung von Maßnahmen gefordert. Welchen Spielraum fordern Sie konkret?

Prof. Dr. Carolin Häussler: Den Spielraum beziehen wir einerseits auf die thematische Ausrichtung und Gestaltung, andererseits auf die Anpassungsmöglichkeiten. Wir haben teilweise sehr lange Laufzeiten bei Förderprojekten, aber leben in einer Zeit, in der Technologiesprünge erfolgen und sich schnell etwas verändert. Da brauchen Projektträger und auch die Zuwendungsempfangenden mehr Freiraum, um auch mal kurzfristig Anpassungen vorzunehmen oder auch andere, neue Wege zu gehen. Und wir haben zusätzlich eine enorme Ausgabenkontrolle. Besser wäre aber eine Outputsteuerung, also die Überlegung, was das beste Ergebnis bringt. Dafür haben wir eine Art Globalbudget vorgeschlagen, das zur Verfügung gestellt wird und dessen Verwaltung auch dem Projektträger mehr Verantwortung übertragen würde.

Dr. Dieter Labruier: Die Outputorientierung setzen wir beispielsweise in der Förderpraxis der Zukunftscluster des Bundesministeriums für Bildung und Forschung um. Wir versuchen dort, die guten Ideen, die aus den Clustern kommen, auch zu ermöglichen. Und ich glaube, diese Flexibilität können wir auch an anderen Stellen einbringen. Die Möglichkeiten haben wir. Ich glaube, dass wir als Projektträger sowohl in der Lage sind zu kommunizieren, was notwendig ist, als auch eigenverantwortlich zu handeln.

Es braucht also tiefgreifende Veränderungen im Innovationssystem und eine neue Transferkultur, um die von Ihnen skizzierten Herausforderungen zu bewältigen. Wie kann eine erfolgreiche Transferkultur in Deutschland entstehen?

Prof. Dr. Carolin Häussler: Wenn wir über Kultur reden, ist die Offenheit für Austausch und Zusammenarbeit ganz wichtig. Wenn wir sagen, wir wollen Transfer ganzheitlich und systemimmanent denken, dann bezieht das die Wissensproduktion genauso ein wie Wirtschaft und Gesellschaft. Das heißt, dass man viel mehr Nähe zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft schaffen muss. Dazu gehört auch, dass Hürden gesenkt werden müssen. Das fängt in der Bildung an. Wenn wir es hinbekommen, dass die Gesellschaft neugieriger ist, was die Wissenschaft macht – indem Neugierde beispielsweise auch im Bildungssystem stärker gefördert wird, dann glaube ich, kann man beide auch stärker zusammenbringen. Und die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind auch gefordert, mehr Wissenschaftskommunikation zu betreiben und so ihre Wissenschaft auch in die Gesellschaft zu transportieren.

Ziel sollte ein offenes Innovationssystem sein, in dem die Akteure gemeinsam Inhalte entwickeln.

Dr. Dieter Labruier

Wie müsste ein Förderprogramm aussehen, das diese Ziele, die Frau Prof. Dr. Häussler gerade skizziert hat, adressiert, um einen Beitrag zu dieser offeneren Kultur zu leisten?

Dr. Dieter Labruier: Ziel sollte ein offenes Innovationssystem sein, in dem die Akteure gemeinsam Inhalte entwickeln und immer wieder anpassen können. Dazu benötigt man eventuell einen längeren, mehrjährigen Zeitraum. Den zweiten Punkt hat Frau Prof. Dr. Häussler schon erwähnt: die Outputorientierung. Ich halte den kompetitiven Charakter bei Förderprogrammen für sehr wichtig. Obwohl aber viele unserer Maßnahmen wettbewerblich ausgelegt sind, ist sowohl die Projektidee als auch die Auswahl häufig sicherheitsorientiert. Was wünscht der Zuwendungsgeber, wie wahrscheinlich ist eine Verwertung? Wir bräuchten eine Kultur, in der beispielsweise zwei konkurrierende Ansätze miteinander validiert und verfolgt werden können. Dieser kompetitive, risikobereite Charakter ist Teil einer offenen Innovationskultur. Dies bedeutet auch, die entsprechenden Gelingensplattformen bzw. Ermöglichungsplattformen zu realisieren und nicht nur auf Erfolg und Verwertung zu schauen, sondern auch die Potenziale in den Blick zu nehmen.

Prof. Dr. Carolin Häussler: Ich glaube auch, wir tendieren in Deutschland dazu, eher Projekte zu fördern, die ein sicheres Ergebnis erzeugen. Das führt eben nicht dazu, dass wir radikal neue Dinge probieren. Einerseits sollten wir konkurrierende Ansätze fördern, andererseits aber auch den Mut haben, mehr zu experimentieren. Man könnte bei der Auswahl vielleicht noch eine Komponente für besonders risikoreiche Projekte aufnehmen. Da gehört natürlich auch ein gewisser Mut dazu. Das Ergebnis könnte sich aber lohnen.

Was sehen Sie als die größte Herausforderung für die Zukunft im innovationspolitischen Kontext bzw. für den Transfer. Worauf würden Sie es zuspitzen?

Prof. Dr. Carolin Häussler: Es ist die Kombination aus Strategie und Agilität: Eigentlich müssen wir langfristig und strategisch an die Aufgaben herangehen, aber gleichzeitig müssen wir schneller agieren. Das ist eine enorme Herausforderung.

Dr. Dieter Labruier: Hinter Wissenschaft und Forschung sowie Transfer stehen Menschen. Der Weg wird gerade für junge Menschen – die etwa ein Unternehmen gründen und damit Transfer gestalten – immer komplexer. Bei diesem Komplexitätsmanagement lassen wir die Menschen, die Transfer gestalten sollen, meines Erachtens heute ein wenig allein. Hier gilt es, die Rahmenbedingungen zu verbessern.

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Transfer Gestalten - Kapitelübersicht

Die Grafik dient als Inhaltsverzeichnis und zeigt die 5 Kapitel

Quelle: Projektträger Jülich, Forschungszentrum Jülich GmbH

Bildnachweise


  • Bild „Transfer Gestalten“: © nikkytok – stock.adobe.com
  • Bilder Dr. Dieter Labruier: Manuel Thomé
  • Bilder Prof. Dr. Carolin Häussler: © Universität Passau
  • Bild „Transfer durch Netzwerke und Cluster“: © peshkova – stock.adobe.com

Hinweise


Die Texte stammen aus dem Dossier „Transfer gestalten“ des PtJ-Geschäftsberichts 2022.

Redaktion:

  • Projektträger Jülich, Forschungszentrum Jülich GmbH
  • Katja Lüers
  • Regine Hebestreit
Der Projektträger Jülich in Zahlen im Jahr 2023
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