Transfer durch Normen und Patente

Normen und Patente sind der Schlüssel für den standardisierten Einsatz neuer Dienstleistungen und Produkte sowie für die Sicherung von gewerblichen Schutzrechten. Mit dem Programm Wissens- und Technologietransfer durch Patente und Normen (WIPANO) betreut PtJ seit dem Jahr 2016 die Nutzung innovativer Ideen und Erfindungen aus öffentlich geförderter Forschung sowie von kleinen und mittleren Unternehmen. Zudem wird die Überführung von Forschungsergebnissen in Normen und Standards gefördert.


Was lange währt, wird endlich gut!

Viele Unternehmen und Forschungseinrichtungen scheuen das Thema: zu kompliziert, zu langatmig – und das, obwohl sie um den Mehrwert von Wissens- und Technologietransfer durch Patente und Normen in konkrete Produkte und Prozesse wissen. Denn: Standards und Normen schaffen Vertrauen und Akzeptanz in der Gesellschaft. PtJ hat bereits viele Projekte auf ihrem erfolgreichen Weg in die Normung begleitet.

Hoch konzentriert steht der Gastroenterologe am OP-Tisch. Bei der Darmspiegelung seines Patienten hat er Polypen am Dickdarm entdeckt, die er nun mit einem elektrischen Skalpell entfernt. Ein Endoskop, also ein biegsamer Schlauch – ausgerüstet mit einer winzigen Kamera und einer Lichtquelle – gewährt ihm dabei einen guten Blick auf die Schleimhäute des Verdauungstrakts. Jeder Schnitt sitzt, alle medizinischen Geräte sind aufeinander abgestimmt, die kontinuierlich übermittelten Vitaldaten des Patienten geben keinen Grund zur Sorge. Was nach Klinikalltag klingt, ist keine Selbstverständlichkeit.

Status Quo: Produktkette als entscheidendes

Über Jahrzehnte hinweg mussten Chirurgen und ihre Teams bei Eingriffen viele unterschiedliche Apparaturen im Blick haben. Mit der Digitalisierung ist die Chance verbunden, diese einzelnen medizinischen Geräte miteinander zu vernetzen. Ein derartig standardisiertes Netzwerk erleichtert den Chirurgen nicht nur die Arbeit, sondern macht die Eingriffe effizienter und vor allem sicherer. „Viele Hersteller bieten inzwischen ein solches Netzwerk für ihre Geräte an – allerdings immer nur für die eigene Produktkette. Ob Endoskope, Schläuche oder Monitore – chirurgische Geräte von anderen Herstellern werden nicht berücksichtigt“, erklärt Dr. Marco Eichelberg vom Institut für Informatik OFFIS in Oldenburg.

Der Hintergrund: Die Sicherheit eines jeden Patienten steht an oberster Stelle. Wenn im OP Geräte unterschiedlicher Hersteller kombiniert werden, gewährleistet kein Hersteller mehr die Sicherheit. Das hat über die Jahre dazu geführt, dass Krankenhäuser oder chirurgische Praxen ihre Geräteauswahl nicht unbedingt nach den besten und geeignetsten Produkten treffen, sondern die Produktkette das entscheidende Kriterium ist.

Eine Universalsprache zur sicheren Verständigung

Um eine unabhängige Lösung zu finden, die herstellerübergreifend Akzeptanz findet, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bereits im Jahr 2012 das Projekt OR.NET – Sichere dynamische Vernetzung in Operationssaal und Klinik auf den Weg gebracht. Das Ergebnis: ein Netzwerkprotokoll, das inzwischen als Bestandteil der Normenreihe ISO/IEE 11073 „Service-oriented Device Connectivity“ ein international anerkannter Standard ist.

„Doch der Teufel steckt bekanntlich im Detail“, erklärt Eichelberg. Denn mit OR-NET habe man zwar eine wichtige Grundlage geschaffen, eine Art allgemeinverständliche Sprache, nur müssen die verschiedenen OP-Geräte diese Universalsprache auch verstehen. Dafür müssen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sie zunächst über eine Software beschreiben – und Normen auf den Weg bringen.

PoCSpec – Ein Vermittler zwischen den Herstellern

An dieser Stelle kommt das Projekt Modular Specialisations for Point-of-Care Medical Devices ins Spiel, kurz PoCSpec – gefördert von 2019 bis 2021 über die BMWK-Initiative Wissens- und Technologietransfer durch Patente und Normen (WIPANO) und koordiniert vom OFFIS. „Wir haben uns damals überlegt, zunächst zwei möglichst komplizierte Geräte zu beschreiben, die im OP häufig eingesetzt werden. Denn: Funktioniert der aufwendigere Ansatz, gibt es automatisch eine Basis für weniger komplizierte Geräte“, erklärt Eichelberg. Die Wahl fiel auf das eingangs beschriebene Endoskop mit Kamera, Lichtquelle, Pumpe und Insufflator und auf sogenannte High-Frequency-Chirurgiegeräte, zu denen das Elektroskalpell gehört.

Dem OFFIS als Projektkoordinator ist es in PoCSpec gelungen, sämtliche großen Hersteller aus der deutschen Medizingerätebranche an einen Tisch zu holen. In Workshops, Seminaren und Konferenzen haben sie nach einem gemeinsamen Nenner gesucht – immer in enger Absprache mit PtJ.

Innovationen der nächsten Jahre im Blick

„Wir haben sehr viel Zeit investiert, um eine Norm zu konzipieren, die die Hersteller sogar mit ihren bereits bestehenden Produkten und Geräten umsetzen können – beispielsweise über ein Software-Update –, die aber darüber hinaus in der Lage ist, mögliche Innovationen der kommenden Jahre zu berücksichtigen“, erklärt Eichelberg.

Im Jahr 2021 wurde das Projekt abgeschlossen, noch aber warten die PocSpec-Beteiligten auf die endgültige Normfreigabe: „Wir mussten feststellen, dass unsere Norm auf einer anderen aufsetzt, die wiederum im Jahr 2021 noch nicht verabschiedet war und erst Anfang 2023 genehmigt wurde. Wir rechnen im Jahr 2024 mit unserem Standard“, erklärt Eichelberg. Bis zum Jahr 2025 werde es dann hoffentlich die ersten Geräte geben, die der neuen Norm entsprechen.

Standard braucht Zeit

Das Beispiel zeigt: Für Normung braucht es einen langen Atem. „Von der ersten Idee über OR-Net im Jahr 2012 bis zur Normung von PocSPec sind über zwölf Jahre vergangen“, so Eichelberg. Aber am Ende steht ein Standard – basierend auf Wissens- und Technologietransfer – der international anerkannt ist und somit Standards in allen europäischen OP-Sälen schafft und für mehr Sicherheit am Patienten sorgt.

Marco Eichelberg hatte sich damals besonders über die WIPANO-Ausschreibung gefreut, die PtJ begleitet hat: „Das Förderprogramm hilft, Ergebnisse aus bereits abgeschlossenen Projekten wie OR-Net in die Normung zu bringen. Ein solcher Ansatz hat lange in der Förderlandschaft gefehlt und schließt die Lücke.“


Hinter den Kulissen

Lyes Boucharef betreut für PtJ das BMWK-Förderprogramm Wissens- und Technologietransfer durch Patente und Normen (WIPANO). Wie Normen und Standards helfen, Unternehmen den Markteintritt zu erleichtern oder Kosten zu sparen, erklärt er in diesem Interview.

Herr Boucharef, WIPANO spricht auch kleine oder mittelständische Unternehmen (KMU) an. Welche Vorteile haben KMU, wenn sie an einer Norm mitarbeiten?

Lyes Boucharef: Da entsteht vor allem ein enormer Wissensvorsprung. Ein Dienstleistungslabor beispielsweise, das als KMU an einer Norm mitarbeitet, begleitet von Beginn an die „zu normende“ Untersuchung und gestaltet sie sogar mit. Tritt die Norm schließlich in Kraft, müssen Konkurrenten sich erst mal informieren und möglicherweise eine neue Technik anschaffen, während das beteiligte Labor sofort loslegen kann. Dazu kommt, dass sich das KMU über die Mitarbeit an der Norm ein Netzwerk zu dem Thema aufbaut.

Es heißt auch, dass eine Norm Unternehmen den Markteintritt erleichtert …

Lyes Boucharef: Ja, das stimmt. Wenn zum Beispiel ein Unternehmen an einer internationalen Norm mit großem Anwendungsgebiet mitgearbeitet hat, ist der Markteintritt nicht nur einfacher, sondern das Unternehmen spart auch viel Geld. Denn: Es kann von Beginn an seine gesamte Supply Chain darauf auslegen und muss nichts mehr umbauen, wenn die Norm veröffentlicht wird.

Und inwiefern profitieren Forschungseinrichtungen oder Universitäten, die in WIPANO mit KMU in einem Verbund an einer Norm arbeiten?

Lyes Boucharef: Ein sehr wichtiger Punkt ist die Reputation. Normalerweise spielen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Veröffentlichungen in renommierten Zeitschriften eine große Rolle, aber auch eine Norm ist eine Veröffentlichung und damit ein Gewinn für die Reputation. Hinzu kommt, dass das Netzwerk, das über die Zeit entsteht, den Universitäten hilft, weitere Drittmittel einzuwerben.

Welche Rolle spielt PtJ in WIPANO?

Lyes Boucharef: Wir haben die Struktur vorgegeben und ein zweistufiges Verfahren für den Förderschwerpunkt Wissenstransfer durch Normung und Standardisierung etabliert: Zuerst erstellen die Antragsteller eine Skizze, die externe Gutachter bewerten. Ist die Skizze förderfähig, folgt ein Beratungsgespräch durch uns – und zwar fachlich und betriebswirtschaftlich. Bei WIPANO fragen wir explizit nach, wer und wie die Normungsarbeit im Rahmen des Projekts gestaltet wird. Vielleicht sitzt sogar schon jemand in einem Normungsgremium und bringt Erfahrungen mit. Und nach einer Bewilligung sind wir für die Abwicklung zuständig.

WIPANO unterteilt sich in fünf Förderschwerpunkte – beschäftigen die sich alle mit Normung?

Lyes Boucharef: Nein, das betrifft nur zwei: Da ist einmal der angesprochene Förderschwerpunkt Wissenstransfer durch Normung und Standardisierung – da arbeiten KMU im Verbund mit Unis oder Forschungseinrichtungen zusammen. Der zweite Förderschwerpunkt heißt Unternehmen – Normung und richtet sich ausschließlich an KMU und mittelständische Unternehmen (max. 1.000 Mitarbeitende). Es geht darum, neue Unternehmen für die Normung zu interessieren. Denn das ist ein Knackpunkt in Deutschland: Wir haben zu wenig KMU, die Normen auf den Weg bringen. Nicht umsonst zitiert das Deutsche Institut für Normung (DIN) den Satz: Wer die Norm macht, hat den Markt. Und da greift WIPANO ein und versucht, die KMU an die Normung heranzuführen.


Auf dem Foto sieht man eine dicke orange-graue Nebelschicht. Darüber blauer Himmel und Sonne. Weiter hinten in der Mitte steht ein aktives Braunkohlekraftwerk.

DIN SPEC: Heute Idee und morgen Standard

Jeder und jede kann sie auf den Weg bringen: „Die DIN SPEC ist der kürzeste Weg von der Idee zum Produkt“, erklärt Dennis Krämer von CO2-WIN Connect. Das Projekt hat zum Ziel, die Fördermaßnahme CO2-WIN des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) fachlich und organisatorisch zu unterstützen, um Synergien zwischen den geförderten Projekten zu erzeugen und somit einen schnelleren Markteintritt der entwickelten Technologien zu erreichen. Normen und Standards spielen dabei eine wichtige Rolle – und eben auch die Vorstufe einer DIN-Norm, die DIN SPEC. Welche Rolle sie in CO2-WIN Connect spielt, erklärt Dennis Krämer im Interview.

Herr Krämer, warum setzt die von PtJ begleitete Fördermaßnahme CO2-WIN überhaupt auf DIN-Vorstufen?

Dennis Krämer: Seit ungefähr zehn Jahren gewinnt die Idee, Kohlendioxid industriell als Alternative zu fossilen Brennstoffen zu nutzen, an Bedeutung – einerseits, um Rohmaterial für die chemische Industrie zu liefern, und andererseits, um die CO₂-Emissionen zu senken. Und immer, wenn etwas Neues entsteht, kommt irgendwann der Zeitpunkt, dass man eine Schablone oder einen Rahmen braucht, damit alle Beteiligten wissen, worüber sie sprechen und in welche Richtung es gehen soll.

CO2 als nachhaltige KOHLENSTOFFQUELLE – WEGE ZUR INDUSTRIELLEN NUTZUNG

Drei Bereiche der Kohlendioxidnutzung stehen im Fokus der BMBF-Förderrichtlinie CO2WIN: chemische und biotechnologische Prozesse zur Produktion nachhaltiger Chemikalien, elektro- und photochemische Umwandlung von CO₂ sowie die CO₂-Mineralisierung zur Herstellung klimaschonender Baustoffe. Mithilfe dieser technologischen Vielfalt soll künftig die industrielle Kreislaufführung von Kohlenstoff gelingen. Das Transfer- und Vernetzungsvorhaben CO2-WIN Connect bringt die verschiedenen Projekte aus CO2WIN zusammen und hilft dabei, neue Technologien schneller in den Markt zu bringen.

Was für eine Schablone ist dann die DIN SPEC 91458?

Dennis Krämer: Da geht es um die Nutzung von Kohlenstoff, welche Begriffe die Wissenschaft in dem Zusammenhang verwendet. Denn in der Community nutzen die Forschenden unterschiedliche Begriffe oder interpretieren sie anders. Da braucht man eine gemeinsame Basis.

Wo liegt der Mehrwert?

Dennis Krämer: Mit der DIN SPEC 91458 gibt es eine einheitliche Sprache für die gesamte wissenschaftliche Community.

Und was steckt hinter der anderen Norm, der DIN SPEC 91457?

Dennis Krämer: Da geht es um die Elektronen-Photokatalyse. Einer Forscherin war aufgefallen, dass es sehr schwierig ist, entsprechende CO₂-Versuche im Labormaßstab zu reproduzieren. Es gab verschiedene Paper, die aber unterschiedliche Annahmen zur Elektronen-Photokatalyse getroffen haben. Die Annahmen waren nicht einheitlich, sodass die Forscherin den Anstoß gegeben hat, eine DIN SPEC auf den Weg zu bringen. Das Ziel ist gewissermaßen die Schablone bzw. einheitliche Sprache, wie man solche Labormessungen unter welchen Rahmenbedingungen durchführt. Die DIN SPEC 91457 hilft der Wissenschaft, verschiedene Versuche miteinander zu vergleichen oder auch zu wiederholen. Man hat auch hier nun eine einheitliche Grundlage.

Ist am Ende eine echte DIN das Ziel?

Dennis Krämer: Ja, definitiv. Aber die beiden DIN SPECs waren erst der Startschuss. Wir hoffen, dass die Forschenden ein Gefühl dafür bekommen, dass Normen und Standards wichtig sind, dass sie in diesem „jungen“ Themenfeld von Anfang an mitgedacht werden und frühzeitig in die Forschung mit einfließen.

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Die Grafik dient als Inhaltsverzeichnis und zeigt die 5 Kapitel

Quelle: Projektträger Jülich, Forschungszentrum Jülich GmbH

Bildnachweise


  • Bild „Transfer durch Normen und Patente“: © kalafoto – stock.adobe.com
  • Bild „Eine Universalsprache zur sicheren Verständigung“: © edwardolive – stock.adobe.com
  • Bild „POCSPEC – ein Vermittler zwischen den Herstellern“: © santypan – stock.adobe.com
  • Bild „Hinter den Kulissen“: Projektträger Jülich/Alexandra Meyer
  • Bild „DIN SPEC: Heute Idee und morgen Standard“: © Igor – stock.adobe.com
  • Bild „Transfer gestalten“: © nikkytok – stock.adobe.com

Hinweis


Die Texte stammen aus dem Dossier „Transfer gestalten“ des PtJ-Geschäftsberichts 2022.

Redaktion:

  • Projektträger Jülich, Forschungszentrum Jülich GmbH
  • Katja Lüers
  • Regine Hebestreit
Der Projektträger Jülich in Zahlen im Jahr 2023
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