Wissen teilen, Risiken gemeinsam schultern

Mitten in Aachen, am Campus Melaten, steht ein großer, futuristischer Gebäudekomplex – die Heimat des Forschungscampus Digital Photonic Production (DPP). In einer weiträumigen und lichtdurchfluteten Umgebung forschen hier Akteurinnen und Akteure aus Wissenschaft und Wirtschaft auf Augenhöhe an der Zukunft der Laserfertigung. Dr. Christian Hinke hat den Weg des Forschungscampus von Anfang an als Koordinator mitbegleitet. Für ihn ist das würfelförmige Gebäude mehr als nur eine Ansammlung von Büros und Laboren. Es bietet eine Plattform für die Entwicklung neuer Ideen und die Vernetzung verschiedenster Partnerinnen und Partner. Das Einzigartige an der Förderinitiative Forschungscampus? „Das gemeinsame Teilen von Wissen, aber auch das gemeinsame Schultern von Aufwand und Risiko“, so Hinke.

Helle und weite Räume, minimalistisches Design und viel Platz für gemeinsames Arbeiten und kommunikativen Austausch – das zeichnet das Forschen unter einem Dach-Konzept des Forschungscampus DPP aus. Die eigentliche Geburtsstätte befindet sich jedoch ein paar Meter weiter, im Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT und dem dazugehörigen Lehrstuhl für Lasertechnik LLT der RWTH Aachen. Hier fiel vor etwa zehn Jahren der Startschuss für die sogenannte Vorphase der Forschungscampus-Initiative. „Ende 2013 stellten wir den Antrag für die erste Hauptphase. Etwas später erhielten wir die Bewilligung für die erste, fünfjährige Förderphase. In dieser Zeit, von 2014 bis 2019, haben wir den Forschungscampus DPP – und dieses Gebäude – aufgebaut“, erklärt Koordinator Hinke. Inzwischen befindet sich der Forschungscampus DPP in der zweiten Förderphase, nachdem er sich Anfang 2021 erfolgreich der Jury stellte.

Eingang des Gebäudekomplexes des Forschungscampus Digital Photonic Production. Vier Personen sind zu sehen.

Forschungscampus Digital Photonic Production

Von der Idee zur Umsetzung

Die Lasertechnik und die Nutzung des Lasers in der industriellen Fertigung stehen im Mittelpunkt der Forschung des Fraunhofer ILT und des Forschungscampus DPP. Im Jahr 2010 gab es einen Wendepunkt: Durch die zunehmende Kopplung des Lasers an digitale Prozessketten und Technologien wurde deutlich, dass der Laserstrahl im Grunde das einzige Werkzeug ist, das so schnell arbeitet, wie ein Computer denkt. „Diese Verknüpfung des Lasers mit digitalen Technologien führt dazu, dass Materialien nahezu unendlich schnell sowie unglaublich präzise in jeglicher Geometrie verändert werden können“, sagt Hinke.

Fotoaufnahme aus einem der Labore. Blaues und oranges Licht leuchten im Raum.

Hier setzt der Forschungscampus DPP thematisch an. Es sollen neue Methoden für die Verwendung von Licht als Werkzeug in der Produktion, auch bekannt als Digitale Photonische Produktion, entwickelt werden. Der Forschungscampus DPP nutzt die einzigartigen Eigenschaften des Lasers, um die hochqualitative Herstellung von individuellen Bauteilen unabhängig von ihrer Größe oder Form aus digitalen Daten mittels Laserstrahlung zu ermöglichen. Dabei beschäftigen sich die Akteurinnen und Akteure des Forschungscampus ganzheitlich mit industriellen Produktionsketten – vom Bauteildesign über die Systemtechnik bis hin zu vor- und nachgelagerten Fertigungsschritten. Hinter der digitalen photonischen Produktion steht die Vision, dass durch die effiziente Herstellung individueller Produkte in kleinen Stückzahlen kundenspezifische Produktanforderungen erfüllt werden können. Der Forschungscampus DPP arbeitet an der Vision der digitalen photonischen Produktion mit Partnerinnen und Partnern aus dem Energie- und Mobilitätssektor sowie der Gesundheits- oder Informations- und Kommunikationstechnik.

Die Forschungscampusinitiative

Im Rahmen der Förderinitiative Forschungscampus – öffentlich-private Partnerschaft für Innovationen fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit 2013 neun Forschungscampi. Forschende aus Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen arbeiten „unter einem Dach“, in einer gemeinsam genutzten Forschungsinfrastruktur und auf Augenhöhe zusammen. Der Forschungscampus DPP ist einer der neun Forschungscampi. Partner aus Wissenschaft und Industrie definieren, erforschen und beantworten Fragestellungen der Photonik mit Fokus auf der Nutzung des Lasers als Werkzeug für die produzierende Industrie der Zukunft. Für diese gemeinschaftliche Forschungsarbeit wird der Forschungscampus über einen Zeitraum von insgesamt bis zu 15 Jahren mit bis zu zwei Millionen Euro pro Jahr in bis zu drei Förderphasen durch das BMBF gefördert.

Der Projektträger Jülich (PtJ) unterstützt das BMBF bei der übergeordneten Gesamtkoordination der Förderinitiative, begleitet die Forschungscampi bei ihrer weiteren Entwicklung und steht hierzu im Austausch mit den Jurymitgliedern. Um einen regelmäßigen Erfahrungs- und Informationsaustausch zwischen den Forschungscampi zu fördern, führt PtJ ein- bis zweimal jährlich ein- bis anderthalbtägige Strategieworkshops durch. Zudem betreute PtJ die Evaluation der Förderinitiative.

Kürzere Innovationszyklen

Die gemeinschaftliche, interdisziplinäre und langfristige Arbeit unter einem Dach ist bei der Forschungscampus-Initiative der Schlüssel zum Erfolg. Am gemeinsamen Standort werden Know-how und Ressourcen gebündelt, können Aufgabenstellungen miteinander und ohne Zeitverzögerung diskutiert und Lösungsansätze in gemeinsam genutzten Laboren erprobt werden. So werden Innovationszyklen verkürzt und die Schwelle für den Weg in die industrielle Produktion wird niedrig gehalten. Im Unterschied zu herkömmlichen Verbundvorhaben arbeiten die Partnerinnen und Partner in gemeinsam genutzten Laboren, haben eine gemeinsame Forschungs- und Innovationsagenda beschlossen und eine für sich passende Form für eine langfristige verbindliche Zusammenarbeit gewählt – etwa auf Basis von Kooperationsverträgen in einem Verein oder einer GmbH.

Für Hinke ist das besondere am Konzept Forschen unter einem Dach, dass der jeweilige Akteur am Ende eines Projektes nicht nur die Ergebnisse erhält, sondern durch das gemeinsame Umsetzen aktiv am Wissenstransfer beteiligt ist. „Unsere Partnerinnen und Partner schicken Mitarbeitende, oftmals Doktoranden, zu uns, die dann eine Zeit bei uns verbringen, hier forschen und arbeiten. Anschließend gehen sie mit ihrem gesammelten Wissen zurück in ihre Forschungseinrichtung oder ihre Unternehmen“, so Hinke.

Forschen unter einem Dach unterstützt zudem den generellen Vernetzungsgedanken zwischen den verschiedenen Partnerinnen und Partnern. Entscheidend für die Zusammenarbeit sei aber die Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft auf Augenhöhe sowie der Aufbau eines Grundvertrauens untereinander – und das könne nur erreicht werden, wenn man regelmäßig vor Ort zusammenarbeite, meint Hinke. Daher traf der Forschungscampus DPP die Vereinbarung, dass die Mitarbeitenden, wenn möglich, jeweils die Hälfte ihrer Zeit am Forschungscampus und die andere Hälfte in ihrem jeweiligen Unternehmen oder ihrer Forschungseinrichtung arbeiten. Die Idee ist, dass die Beteiligten genug Zeit am Forschungscampus verbringen, um sich ein gewisses Know-how anzueignen und sich zu vernetzen. Gleichzeitig sollen sie aber auch Zeit bei ihren Arbeitgebern verbringen können, um das gewonnene Wissen dort anzuwenden und wieder neue Fragestellungen mit in den Forschungscampus zu bringen.

Strukturierungsprozess von Glas durch direkte Laserablation bei der Verwendung von ultrakurzen Laserpulsen.

Ein Laserstrahl ist das einzige Werkzeug, das ähnlich schnell „arbeitet“ wie ein Computer „denkt“. Dies möchte der Forschungscampus Digital Photonic Production (DPP) für die effektive Herstellung individueller Produkte in kleiner Stückzahl nutzen.

Damit neue Ideen entstehen und Innovationen ermöglicht werden, braucht es eine sogenannte offene Innovationskultur. Es braucht Freiräume, Mut und gegenseitiges Vertrauen, damit Visionen nicht nur erarbeitet, sondern auch umgesetzt werden können. Bei der Forschungscampus-Initiative spielen diese Faktoren eine entscheidende Rolle. In Bottom-up-Ansätzen ergeben sich Partnerschaften, die ein Umfeld schaffen, in dem komplexe Forschungsfelder mit hohem Risiko und einem großen Potential für Innovationen bearbeitet werden. Beim Forschungscampus DPP wird diese Form der offenen Innovationskultur durch ein agiles Managementkonzept und durch so genannte „Sprintteams“ unterstützt. Nach Bedarf werden in diesen Teams Kompetenzen für die Lösung eines konkreten Problems gebündelt. Aktuell gibt es 18 solcher Sprintteams auf dem Forschungscampus.

Dieser Open-Know-how-Pool eröffnet neue Chancen und Türen – sowohl für die Wissenschaft als auch für die involvierte Industrie. Ebenso führt diese offene Innovationskultur dazu, dass sich im Idealfall neue, unabhängige Partnerschaften entwickeln, welche wiederum neue Produkte auf den Markt bringen.

„Der Forschungscampus DPP versteht sich in diesem Sinne als Nukleus, der neue Ideen fördert, die Möglichkeit zur Vertiefung der Grundlagenforschung bietet und den Weg für autonome Partnerschaften ebnet“, fügt Hinke hinzu.

„Forschen unter einem Dach“ im digitalen Raum

Die Corona-Pandemie beeinflusst selbstverständlich auch das Prinzip Forschen unter einem Dach beim Forschungscampus DPP. Statt des gemeinsamen Zusammentreffens in den hellen Räumen des würfelförmigen Gebäudes finden nun die meisten Treffen virtuell statt. „Mehrere hundert Videokonferenzen haben wir gezählt“, sagt Hinke und lacht.

Dabei ist der Forschungscampus DPP bekannt für eine bereits etablierte Tradition: Jeden dritten Donnerstag im Monat, am Third Thursday, treffen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Atrium des Industry Building DPP. Nach Vorträgen zu aktuellen Ergebnissen und Projekten wird zum informellen Get-Together bei gemeinsamem Imbiss und Getränken eingeladen. Seit Corona finden auch diese Veranstaltungen online statt. Hinke sieht die Chancen, die das Digitale bringt, dennoch kommt der menschliche Aspekt der offenen Innovationskultur aktuell zu kurz: „Wir versuchen, diese Kultur des informellen Austauschs trotzdem herzustellen. Das gelingt bedingt, ist aber niemals dasselbe. Vor Ort diskutierten wir manchmal bis 22 Uhr, jetzt geht es maximal bis 18 Uhr.“ Was aber wohl ein Vorteil sei: Es können jetzt auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilnehmen, die gerade nicht vor Ort in Aachen sind. „Wir überlegen uns aktuell, wie wir das Beste aus beiden Welten zukünftig vereinen können.“

Bildnachweise


  • Bild „Wissen teilen, Risiken gemeinsam schultern“: © Fraunhofer ILT, Aachen / V. Lannert.
  • Bild „Forschungscampus Digital Photonic Production“: Forschungscampus DPP, Aachen
  • Bild „Laserstrahl“: © Fraunhofer ILT, Aachen/V. Lannert
  • Bild „Labor“: © Fraunhofer ILT Aachen, V. Lannert

Hinweise


Die Texte stammen aus dem Dossier „Regionale Innovationsförderung“ des PtJ-Geschäftsberichts 2021.
Redaktion:

  • Projektträger Jülich, Forschungszentrum Jülich GmbH
  • PRpetuum GmbH
Der Projektträger Jülich in Zahlen im Jahr 2023
1.629
Mitarbeiter/innen
30.770
Laufende Vorhaben
3392,05
Fördervolumen in Mio. Euro
4
Geschäftsstellen

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