Transfer ist keine Einbahnstraße

Am Rande des Campus der Hochschule Fulda, mit der Nummer 35, findet sich ein großes, weißes Haus für Transfer und Innovation: das Regionale Innovationszentrum für Gesundheit und Lebensqualität der Hochschule Fulda, kurz RIGL. Hier sitzt die Geschäftsstelle des in der Bund-Länder-Initiative Innovative Hochschule geförderten Projekts, hier arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit Partnerinnen und Partnern aus der Praxis an ganz unterschiedlichen Teilprojekten. Sie alle vereint ein Ziel: Innovative Ideen, Wissen und Technologien in den Bereichen Gesundheit, Ernährung, Lebensqualität und soziale Nachhaltigkeit zu entwickeln und in die Region zu übertragen.

Angefangen hat alles mit einem Workshop. Zwar hatte sich die Hochschule Fulda schon seit einigen Jahren im Transfer stark engagiert, arbeiteten Forscherinnen und Forscher in verschiedenen Fachgebieten eng mit Unternehmen oder Verbänden der Region zusammen – doch dieser Transfer, sagt Jana Rückert-John, Professorin für die Soziologie des Essens und Wissenschaftliche Leiterin des RIGL Fulda, fand vor allem vereinzelt und projektbezogen statt. Das wollte das RIGL ändern, sich systematischer mit den Bedingungen für Transfer auseinandersetzen und dort anfangen, wo viele Forschungsprojekte bislang endeten: bei Lösungen für den Transfer in die Praxis. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Partnerinnen und Partnern vor Ort? Unter welchen Rahmenbedingungen wird gearbeitet? Wo ergeben sich Herausforderungen und Lerneffekte? Und welches projektspezifische- und hochschulspezifische Transferverständnis lässt sich daraus ableiten?

„Uns war klar, dass wir unsere Ideen bottom-up entwickeln wollten“, sagt Rückert-John. „Wir wollten von Anfang an eng mit unseren Partnerinnen und Partnern in der Region zusammenarbeiten.“ Also lud die Hochschule Fulda mehr als 50 Praxispartnerinnen und -partner, die zuvor mit unterschiedlichen Fachbereichen der Hochschule kooperiert hatten, zu einem Workshop ein. Dort entstand die Idee, ein Regionales Innovationszentrum zu etablieren – und sich für die Förderung im Rahmen der Bund-Länder-Initiative Innovative Hochschule zu bewerben. Diese nimmt – neben Forschung und Lehre – die dritte Mission „Transfer und Innovation“ in den Blick und richtet sich insbesondere an kleine und mittlere Universitäten sowie an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Der Antrag hatte Erfolg, bis zu zehn Millionen Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren sicherte sich die Hochschule – und so konnte das RIGL Fulda am ersten Januar 2018 an den Start gehen.

Heute sind mehr als 120 Praxispartnerinnen und -partner aus verschiedenen Bereichen am RIGL Fulda beteiligt: Wirtschafts- und Sozialunternehmen, Verbände, Vereine, Kommunen, deren Verwaltungseinheiten und zivilgesellschaftliche Initiativen. In insgesamt zehn Umsetzungsprojekten, die sich zum Beispiel der Zukunft der Ernährung oder Optimierungspotentialen der E-Mobilität widmen, arbeiten sie gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an konkreten Fragestellungen. So wirkt das RIGL-Fulda breit in die Region hinein.

Ein Beispiel hierfür ist das Projekt „Lebensmittel der Zukunft“, das sich mit der Ernährung der Region Fulda im Jahr 2030 beschäftigt. Heumilch, Fleischprodukte von Weiderindern, fermentierte Getränke mit geringerem Zuckergehalt, ein Brot mit natürlichem Vitamin B12 – mit diesen Ideen für neue regionale Lebensmittel ist zum Beispiel das Umsetzungsprojekt LeZ’go gestartet.

Wir verstehen inzwischen viel besser, wo die konkreten Bedarfe der Praxispartnerinnen und -partner liegen und wo es ernsthaft hakt.

Prof. Dr. Stefan Schildbach

Am Anfang standen Gespräche, zu denen Projektleiter Professor Stefan Schildbach und sein Team zunächst alle relevanten Akteurinnen und Akteure aus der regionalen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zusammenbrachten. Diese Gespräche waren der Beginn für einen regelmäßigen Austausch. „Wir verstehen inzwischen viel besser, wo die konkreten Bedarfe der Praxispartnerinnen und -partner liegen und wo es ernsthaft hakt“, sagt Schildbach. Gleichzeitig könnten die Praxispartnerinnen und -partner besser einschätzen, in welchen Bereichen die Wissenschaft unterstützen könne und wo nicht. Die Rolle der Hochschule im Transferprozess hat sich entsprechend geschärft: „Wir werden einerseits als neutraler Partner wahrgenommen, der die Akteure miteinander vernetzt, andererseits auch als Wissenslieferant“, so Schildbach.

Am Beispiel der Aktivitäten rund um die Heumilch lässt sich das greifbar machen. Die Idee, regionale Heumilch zu produzieren, brachte ein Verein ein. Heumilch-Kühe werden auf traditionelle Art nur mit Gräsern und Kräutern auf der Weide und im Winter mit Heu gefüttert. Damit verbunden waren verschiedene Anliegen: Angesichts sinkender Milchpreise sollen die Landwirte unterstützt werden, ihre Milch besser vermarkten zu können. Zugleich will der Verein den Landwirtinnen und Landwirten einen Anreiz geben, ökologisch zu wirtschaften. Anders formuliert: Es geht darum, einen höheren Gewinn für Milchbauern mit dem Naturschutzgedanken in Einklang zu bringen, beispielsweise mit dem Erhalt kleiner Strukturen. Für das Voranbringen der Idee brauchte der Verein Unterstützung. Viele Fragen seien offen gewesen: Ist die Qualität der Milch aufgrund der Vegetation in Rhön und Vogelsberg tatsächlich besser? Und lässt sich das nachweisen? Wie ist es möglich, Heutrocknungsanlagen zu finanzieren? Wie kann die Heumilch in der Region verarbeitet werden angesichts der Tatsache, dass es regional keine kleinen Molkereien mehr gibt und in den großen eine getrennte Verarbeitung kaum möglich ist? LeZ’go konnte mit wissenschaftlicher Expertise aus dem Labor unterstützen und nachweisen, dass regional produzierte Heumilch ein günstigeres Fettsäurespektrum aufweist und damit gesünder ist. Inzwischen hat sich eine Kooperation entwickelt, auch das RIGL ist mit an Bord. Geplant ist aktuell die Produktion von Vollmilch, Fruchtjoghurt, Sahne und Käse. „Wenn man breit aufgestellt ist, kann man Ideen deutlich schneller voranbringen“, fasst Stefan Schildbach zusammen.

Das regionale Innovationszentrum Fulda zielt vor allem darauf ab, die Leistungsfähigkeit der Hochschule im Bereich Transfer und Innovation nachhaltig zu stärken: Eine Transferstrategie wurde entwickelt, Transferstrukturen sollen weiter aufgebaut werden. Dazu brauchte das Gesamtprojekt ein gemeinsames Verständnis von Transfer: Was genau verstehen wir darunter? Welche Ressourcen sind erforderlich? Welche Erwartungen sind mit dem Projekt verbunden? Was sind Erfolgsfaktoren? Und wo liegen möglicherweise auch Grenzen? Die Vielfalt der Umsetzungsprojekte, die Bandbreite der Themen, die unterschiedlichen Kontexte, in denen die Umsetzungsprojekte agieren, erweisen sich dabei als große Herausforderung. Denn sie sind, wie sich zeigt, mit ganz unterschiedlichen Herangehensweisen und unterschiedlichen Vorstellungen von Transfer verbunden.

„Wir sind nicht mit einer vorgefertigten Vorstellung von Transfer in das Projekt gegangen“, beschreibt Rückert-John die Ausgangssituation aus heutiger Sicht. „Wir orientieren uns an den regionalen Bedarfen und gewinnen unser Transferverständnis aus der breiten und vielfältigen Projektlandschaft.“

Die gemeinsame Geschäftsstelle auf dem Campus in Fulda, in der regelmäßige Workshops und Treffen stattfinden, bietet einen zentralen Ort, an dem die Beteiligten über ihre Herausforderungen, Chancen und Ideen sprechen können. Denn: Das RIGL Fulda versteht den Transfer von Ideen, Wissen und Technologien nicht nur als das Überführen von Forschungsergebnissen in die Praxis und damit als Einbahnstraße – sondern vielmehr als lebendigen, wechselseitigen Austausch von Wissen, Ideen, Konzepten, Methoden und Technologien zwischen den Hochschulen und ihren regionalen Partnerinnen und Partnern. „Es geht um gemeinsame Forschung und Entwicklungsarbeit, die sich immer an den Bedarfen der Region orientiert und ausrichtet“, sagt Rückert-John. „Unter dieser Art der Zusammenarbeit verstehen wir nicht nur einen Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis. Vielmehr entsteht durch Interaktion und Kooperation von Wissenschaft und Praxis etwas ganz Eigenes, das sich nicht mehr dem einen oder anderen Partner zurechnen lässt. In diesem Sinne sprechen wir auch von Ko-Produktionen.“

Hochschule Fulda

Die Hochschule Fulda wurde 1974 als fünfte staatliche Fachhochschule des Landes Hessen eingerichtet. Bereits seit 1971 war sie Teilstandort der Fachhochschule Gießen. Die Vorläuferinstitution der Fuldaer Hochschule war das 1963 eröffnete Pädagogische Fachinstitut, das der Ausbildung von Lehrern in den musisch-technischen Fächern diente. Heute hat die Hochschule Fulda etwa 9.000 Studierende, acht Fachbereiche mit etwa 600 Beschäftigten, davon rund 150 Professorinnen und Professoren.

Für Rückert-John ist das RIGL Fulda nach nun mehr als vier Jahren Projektlaufzeit ein Erfolg. Auf ganz vielen Ebenen, sagt sie, habe das Regionale Innovationszentrum zu einer engeren Verzahnung zwischen Region und Hochschule geführt. Und: Der Transfer sei an der Hochschule nun definitiv angekommen.

Innovative Hochschule

Die Förderinitiative Innovative Hochschule nimmt die – neben Forschung und Lehre – dritte Mission „Transfer und Innovation“ in den Blick und richtet sich insbesondere an kleine und mittlere Universitäten sowie an Fachhochschulen/ Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Hochschulen leisten einen wichtigen Beitrag zu Innovationen in ihrer Region. Sie machen einerseits durch Lehre und Forschung Wissen regional verfügbar und nehmen andererseits Ideen und konkrete Fragestellungen aus ihrer Umgebung auf und erarbeiten mit ihren Partnern innovative Produkte und Dienstleistungen. Erfolgreicher Transfer ist daher ein wechselseitiger Prozess. Die Innovative Hochschule fördert den strategischen Auf- und Ausbau der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Akteuren und stärkt damit die strategische Rolle der Hochschulen im regionalen Innovationssystem.

Die Förderinitiative Innovative Hochschule ist mit bis zu 550 Millionen Euro für zwei Auswahlrunden à fünf Jahre ausgestattet. Die Fördermittel werden jeweils im Verhältnis 90:10 vom Bund und vom jeweiligen Sitzland getragen.

Bildnachweise


  • Bild „Transfer ist keine Einbahnstraße“: © Bits and Splits – stock.adobe.com
  • Grafik: Projektträger Jülich, Forschungszentrum Jülich GmbH
  • Bild „Hochschule Fulda“: Hochschule Fulda | Bildstürmer

Hinweise


Die Texte stammen aus dem Dossier „Regionale Innovationsförderung“ des PtJ-Geschäftsberichts 2021.
Redaktion:

  • Projektträger Jülich, Forschungszentrum Jülich GmbH
  • PRpetuum GmbH
Der Projektträger Jülich in Zahlen im Jahr 2023
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