Pioniere des Strukturwandels

Mit dem Programm Innovation & Strukturwandel fördert das Bundesforschungsministerium Bündnisse in strukturschwachen Regionen. Mit Strategie, Kreativität und Mut zur Veränderung eröffnen diese ihren Regionen neue Chancen für einen dynamischen Strukturwandel. So wie die Vogtlandpioniere, die traditionsreiche Gebäude in Zukunftsorte verwandeln.

Die Pappe lebt wieder! Nachdem die Papierfabrik im thüringischen Greiz vor rund zwei Jahrzehnten die Produktion einstellte, verfiel der rund 150 Jahre alte Ziegelsteinbau rasch. Doch heute gilt die Pappe, wie das imposante Gebäude von den Einheimischen genannt wird, als Ort der Innovation und Zukunft. Und das mitten in einer strukturschwachen Region, die mit sinkenden Einwohnerzahlen und weiteren Herausforderungen zu kämpfen hat. Wie ist das gelungen?

Gleichwertige Lebensverhältnisse

Strukturschwache Regionen gibt es in fast allen deutschen Bundesländern. Es sind ganz unterschiedliche Regionen: altindustrielle Zentren, ländliche Gegenden sowie Grenz- und Küstenregionen in Ost und West. Mehr als 40 Prozent der deutschen Bevölkerung leben in einer Region, die sich mit den besonderen Herausforderungen des Strukturwandels konfrontiert sieht: Dazu zählen eine geringere Wirtschaftskraft, schlechtere Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten, Fachkräftemangel und der demografische Wandel.

Und doch gibt es viele gute Gründe, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Denn seit den 1990er-Jahren ist die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse ein politisches Ziel aller Bundesregierungen. Auch die Ampelkoalition hat im Dezember 2021 dieses Ziel an unterschiedlichen Stellen in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen: „Gleichwertige Lebensverhältnisse sind die Basis für Vertrauen in unsere Demokratie und halten unser Land zusammen“, ist dort etwa zu lesen. Gleichzeitig kündigen SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen an, „das gesamte Fördersystem des Bundes in Zukunft noch stärker auf die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse und die Transformation der Wirtschaftsstruktur aus[zu]richten“.

Einer der zentralen Bausteine dieses gesamtdeutschen Fördersystems ist das Programm Innovation & Strukturwandel des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Sein Ziel ist es, die wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Innovationspotentiale der Regionen weiterzuentwickeln. So soll Innovation & Strukturwandel dynamische Transformationsprozesse anstoßen, die für strukturschwache Regionen neue Zukunftsperspektiven eröffnen.

Bisher hat das BMBF vier Programmlinien entwickelt, in denen derzeit 97 Bündnisse gefördert werden. Diese stammen aus den unterschiedlichsten Regionen und Themenfeldern – seien es innovative Bahntechnologien im Erzgebirge, medizinische Schnelltests im südlichen Niedersachsen oder Technologien auf Basis von Mikroorganismen in der Westpfalz. Oder eben neue Technologien und Ideen zur Belebung alter Gebäude in Greiz und dem übrigen Vogtland.

Pionierarbeit in alten Gemäuern

Das baukulturelle Erbe in der Region zu erhalten und neue Nutzungskonzepte für alte Gebäude zu entwickeln, ist das Ziel der „Vogtlandpioniere“. Das vom BMBF geförderte Innovationsbündnis verfolgt neuartige Ansätze für die Denkmalpflege, Sanierung und Nutzung der Gebäude. Im Visier hat es dabei Hunderte denkmalgeschützte Schlösser, Kirchen, Brücken und Fabriken in der Region. Dazu zählen die Burgruine Elsterberg, die Hempelsche Fabrik in Plauen und eben auch die alte Greizer Papierfabrik.

Das Bild zeigt die alte Papierfabrik

Die alte Papierfabrik Pappe in Greiz.

Die Pappe war dem Verfall preisgegeben, bis die Vogtlandpioniere begannen, sie neu zu beleben: mit einer Mischung aus Technologie, Design und Bürgerpartizipation. Im Zentrum stehen Textilien, in die zum Beispiel Heiz- oder Leuchtelemente integriert sind. In einem Open-Innovation-Prozess stellt das Textilforschungsinstitut Thüringen-Vogtland e. V. (TITV) die technologischen Möglichkeiten zur Diskussion. Gleichzeitig werden im Rahmen von Workshops kulturstrukturelle Probleme der Region herausgearbeitet. Und Kunst- und Kulturschaffende aus der Region tragen dazu bei, Forschungs- und Entwicklungsergebnisse mit Designaspekten zu verknüpfen. So soll die Pappe in Zukunft zum Anlaufpunkt für kunst-, kultur- und bildungsinteressierte Bürgerinnen und Bürger werden.

Constanze Roth von der Jenaer Industrieforschungseinrichtung INNOVENT e. V. leitet die Koordinierungsstelle des breit aufgestellten Bündnisses, das mittlerweile rund 60 regionale Partner umfasst. Dazu zählen Akteurinnen und Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, aber auch Vereine sowie Bürgerinnen und Bürger. „Sehr positive Entwicklungen für den Wandel in der Region“ sieht Roth bereits heute – und das in kultureller wie wirtschaftlicher Hinsicht.

Drei Fragen an...

01 – Welche Vorteile hat die thematische Bandbreite Ihres Bündnisses?
Unsere thematische Bandbreite reicht von der Materialentwicklung bis hin zu Energiekonzepten. Einer unserer Schwerpunkte sind neueste digitale Lösungen. Im Vorhaben DenkmalDigital haben sich Restauratoren, Ingenieure und Fachplaner im virtuellen 3D-Modell einer Kirche getroffen. Sie konnten den Zustand einer beschädigten Wandmalerei erfassen und so deren Erhaltung effizienter planen.

02 – Welche Potentiale bietet die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Partner?
Bei der Vernetzung heterogener Akteure kommen verschiedene Kompetenzen zusammen, aus denen innovative Ideen entstehen. Dafür schaffen wir die Voraussetzungen und ermöglichen den Austausch zwischen unseren Mitgliedern. Da wir besonders viele forschungsferne Akteurinnen und Akteure einbinden, braucht es hier die kompetente Unterstützung vom Projektträger. So entstehen aus Ideen Forschungsprojekte.

03 – Warum funktioniert Ihr Bündnis gerade im Vogtland so gut?
Es gibt im Vogtland ein großes bürgerliches Engagement. Und das nutzen wir! Wir pflegen eine intensive Kommunikation mit den Menschen vor Ort. Dabei sprechen wir mit Fachleuten und auch mit zivilgesellschaftlichen Akteuren. Und die Impulse kommen bei den Kommunen an: Vielerorts werden Konzepte zur Sanierung und Umnutzung des baukulturellen Erbes mit uns entwickelt.

Zukunftorientierte Transformation

Die Vogtlandpioniere werden im Rahmen der Programmlinie WIR! – Wandel durch Innovation für die Region seit 2018 vom BMBF gefördert. WIR! ist Teil des Programms Innovation & Strukturwandel und unterstützt breit angelegte Bündnisse dabei, die Innovationspotentiale ihrer Region mithilfe strategischer Ansätze zu nutzen. Im Gegensatz zu den anderen Programmlinien von Innovation & Strukturwandel richtet sich WIR! vor allem an Regionen abseits der bekannten Innovationszentren und bezieht auch innovationsunerfahrene Akteure mit ein. WIR!, RUBIN, T!Raum und REGION.innovativ verfolgen dabei dieselbe Mission: Sie sollen den Fortschritt in strukturschwachen Regionen vorantreiben und neue Chancen für Wertschöpfung, Beschäftigung und Lebensqualität schaffen.

Dazu hat das BMBF einheitliche Ansatzpunkte identifiziert. Im Zentrum stehen die Regionen, denn dort entstehen kreative Ideen und innovative Lösungen für eine zukunftsorientierte Transformation und einen dynamischen Wandel. Die Programmlinien unterstützen deshalb regionale Innovationsnetzwerke von Akteurinnen und Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik. Sie involvieren neue Partnerinnen und Partner in regionale Innovationsökosysteme und bringen nachhaltige Innovationsstrategien hervor. Auf dieses Weise verbessert sich der Transfer zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft und die Innovationskraft insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) wird gestärkt. Zugleich wird die Gründung von Start-ups unterstützt. Durch neue Kompetenzen in Zukunftsfeldern werden strukturschwache Regionen schließlich attraktiver für Talente und Fachkräfte.

Dabei ist Innovation & Strukturwandel bewusst als lernendes Programm ausgestaltet: Monitoring- und Evaluationsmaßnahmen, eine wissenschaftliche Begleitforschung und externe Beiräte reflektieren die einzelnen Programmlinien kontinuierlich und bieten Ansatzpunkte für neue Akzente.

Ein täglicher Lernprozess

Der Projektträger Jülich hat das Programm Innovation & Strukturwandel sowie die bislang vier Programmlinien von Beginn an begleitet: von der Entwicklung über Auswahlprozesse und die Programmsteuerung bis hin zu Controlling, Monitoring und Evaluierung. „Trotz unserer jahrelangen Erfahrung in der regionenorientierten Innovationsförderung ist das auch für uns ein täglicher Lernprozess“, betont Dr. Thomas Reimann. Doch es lohne sich, weil man den Menschen in strukturschwachen Regionen passgenaue Angebote machen könne (siehe Interview). Und diese Angebote können echte Transformations-Chancen eröffnen – im Vogtland und in allen anderen strukturschwachen Regionen in Deutschland.

Hinter den Kulissen

Als Projektträger des BMBF sind wir in den gesamten Prozess eingebunden: von der Vorbereitung und Entwicklung bis zur Begleitung und Evaluation der Förderprogramme. Ein gutes Beispiel dafür ist das Programm WIR! – Wandel durch Innovation in der Region.

Zunächst haben wir den Handlungsbedarf ermittelt, unter anderem im Rahmen von mehreren Expertengesprächen. Im Anschluss haben wir in enger Zusammenarbeit mit dem BMBF das Programm entwickelt – bis hin zur Formulierung der Förderrichtlinien für zwei Ausschreibungsrunden.

Nach der Bekanntmachung haben wir die Förderinteressierten informiert und beraten – und dabei allein mehr als 500 Telefongespräche geführt. Aber auch bei der Gutachtersuche, der Beiratssuche und -betreuung haben wir das BMBF unterstützt. Im Rahmen von WIR! wurden schließlich 236 Skizzen eingereicht, die wir im Vorfeld des eigentlichen Auswahlprozesses vorbewertet haben.

Derzeit betreuen und begleiten wir intensiv die geförderten WIR!-Bündnisse – von der Beratung über die Begutachtung der eingereichten Vorhaben bis hin zur Bewilligung und Auszahlung der Fördermittel. Unsere Rolle als Projektträger ist mit viel persönlichem Einsatz verbunden. Doch es lohnt sich, weil wir den Akteuren und Menschen in strukturschwachen Regionen passgenaue Angebote machen können.

Bildnachweise


  • Bild „Pioniere des Strukturwandels“: © Alex – stock.adobe.com
  • Bild „Papierfabrik in Greiz“: INNOVENT e.V.
  • Bild „3 Fragen an“: INNOVENT e.V.
  • Bild „Hinter den Kulissen“: Nils Gunther-Alavanja

Hinweise


Die Texte stammen aus dem Dossier „Regionale Innovationsförderung“ des PtJ-Geschäftsberichts 2021.
Redaktion:

  • Projektträger Jülich, Forschungszentrum Jülich GmbH
  • PRpetuum GmbH
Der Projektträger Jülich in Zahlen im Jahr 2023
1.629
Mitarbeiter/innen
30.770
Laufende Vorhaben
3392,05
Fördervolumen in Mio. Euro
4
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