Innovation als regionales Ereignis

In Zeiten zunehmender Digitalisierung und Vernetzung rückt die Welt scheinbar immer näher zusammen. Zugleich steht die Menschheit vor Herausforderungen wie dem Klimawandel oder Pandemien, die nach globalen Lösungen verlangen. Um für diese gewaltigen Veränderungen gewappnet zu sein, sind teils radikale Innovationen gefragt. Dass die Keimzelle für innovative Ideen vor allem auf regionaler Ebene entstehen kann, davon sind Professor Uwe Cantner und Dr. Petra König gleichermaßen überzeugt. Im Interview sprechen der Innovationsexperte der Universität Jena und die Leiterin des PtJ-Geschäftsbereichs Gründungs-, Transfer- und Innovationsförderung über regionale Stärken, agile Innovationsinstrumente und die Rolle staatlicher Akteurinnen und Akteure.

 

Herr Professor Cantner, Sie beobachten seit langem die Innovationspolitik und das Innovationsgeschehen in Deutschland. Warum ist die regionale Ebene in Zeiten der Digitalisierung und globalen Vernetzung immer noch so wichtig für die Entstehung von Innovationen?

Cantner: Den Erfinder, der einsam in seiner Garage bastelt, gibt es kaum mehr. Innovationen sind heutzutage immer weniger von einzelnen Akteurinnen und Akteuren abhängig, sondern von bisweilen groß angelegten Kooperationen. Dabei spielen die Beziehungen der Teilnehmenden untereinander eine ganz entscheidende Rolle. Sie zeigen sich kooperativ, sie arbeiten zusammen, sie tauschen ihr Wissen aus. Dafür braucht man Vertrauen. Und da kommt automatisch die räumliche Nähe ins Spiel. Das regionale Umfeld unterstützt genau diese Dimensionen und damit in letzter Konsequenz auch den Erfolg von Innovationen.

Frau König, Ihr Geschäftsbereich setzt für das Bundesministerium für Bildung und Forschung seit mehr als zwanzig Jahren eine regionale Innovationsförderung um, zunächst in Ostdeutschland und jetzt in strukturschwachen Regionen bundesweit. Welchen Beitrag leisten diese Regionen für die Innovationsentwicklung?

König: Die Potentiale für Innovationen entstehen durch die sehr gute öffentliche Forschungslandschaft in vielen Regionen, aber auch aus gewachsenen Kompetenzen heraus. Das sind die Anknüpfungspunkte für die Innovationsförderung und letztlich auch für deren Erfolg. Zum Beispiel war gerade in Dresden Richtfest für das weltweit erste Gebäude, das ausschließlich mit Carbon-Beton gebaut wird. Die Bewehrung des Betons mit Hochleistungsfaserstoffen wie Carbon ermöglicht sehr viel geringere Betondeckungen als etwa Stahlbeton. Die Kompetenzen für diese Innovation gehen auch auf die traditionell starke Textilindustrie in Sachsen zurück.

Das bedeutet, man baut auf altbewährten Kompetenzen auf und passt diese den modernen Anforderungen an, formt sie sozusagen um?

König: Das „man“ ist dabei ein ganz wichtiger Punkt. Die Förderung zeichnet sich dadurch aus, dass sie Bottom-up funktioniert. Das heißt, die Innovationspotentiale müssen immer von den Akteurinnen und Akteuren in der Region selbst identifiziert werden. Und die entwickelte Idee muss auch anschlussfähig sein, mit Blick auf internationale Märkte oder im Fall von sozialen Innovationen, in dem sie übertragbar ist auf andere Regionen.

Portraitfoto von Dr. Petra König, Leiterin des Geschäftsbereichs

Dr. Petra König ist Leiterin des Geschäftsbereichs Gründungs-, Transfer- und Innovationsförderung beim Projektträger Jülich (PtJ)

Wie kann es gelingen, dass die Region als Keimzelle für Innovationen funktioniert und die Innovationen somit dem gesamten Technologiestandort Deutschland zugutekommen?

Cantner: Eine Breitenwirkung hat wesentlich mit dem zunächst regionalen Erfolg der Innovationsaktivitäten zu tun. Dieser Erfolg macht attraktiv – eben auch für andere als kreative Nachahmer einerseits und als potentielle Kooperationspartner andererseits. Und das führt in Folge dazu, dass kreative Weiterentwicklungen auch an anderer Stelle vorangetrieben werden, durch und mit anderen Akteuren und Partnern. Und so kann sich dann auch ein lokales Innovationsökosystem erweitern, über regionale und internationale Grenzen hinweg.

König: Vielversprechende Lösungen sind oftmals interdisziplinär. Für die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bedeutet das, über die Grenzen der eigenen Disziplin hinaus zu denken und offen zu sein für neue Akteure. Das ist auch ein Kriterium im Auswahlprozess für die Förderung. Da bedarf es einer gewissen Steuerung, auch durch uns als Projektträger. Denn der Weg dorthin ist unbequem.

Umso wichtiger ist es ja dann auch, die Menschen vor Ort einzubeziehen. Wie bewerten Sie diesen Aspekt für die Innovationsförderung?

Cantner: Menschen muss man dort abholen, wo sie sind. Letztlich muss man ihnen auch das Gefühl geben, dass das, was dabei herauskommt, auf sie zurückzuführen ist. Gerade in strukturschwachen Gebieten ist das schwierig. Da muss man die Leute erst einmal auf den Gedanken bringen, dass Innovation etwas ist, mit dem sie sich beschäftigen sollten und das sie selbst voranbringt.

König: Wenn wir uns die Gebiete der Förderung anschauen, sind darunter auch starke Forschungsstandorte, etwa Jena oder Dresden. Es ist natürlich leichter, anstatt einer breiten Bürgerbeteiligung zunächst einmal die institutionellen Akteurinnen und Akteure vor Ort einzubinden, etwa die Industrie- und Handelskammern. Mit diesen Partnerinnen und Partnern kann man dann gemeinsam auf weitere Akteurinnen und Akteure zugehen.

Ausgründungen aus der Wissenschaft werden häufig als der Königsweg des Technologietransfers bezeichnet. Wie schätzen Sie das Potential von Ausgründungen als Innovationstreiber ein?

König: Als Projektträger setzen wir seit 1998 das Gründerprogramm EXIST um. Aus unserer Sicht sind Ausgründungen tatsächlich der effektivste Weg des Wissenstransfers, weil in den Gründungsteams technologische Kompetenz und hohe Motivation zusammenkommen. Dabei sind die Gründerpersönlichkeit und das Team in der frühen Phase ganz entscheidend. Auch wenn Gründerinnen und Gründer aus der Wissenschaft häufig über wenig oder keine eigene unternehmerische Vorerfahrung verfügen, müssen sie bereit sein, sich diese Kompetenz ins Team zu holen. Es begeistert mich immer wieder mitzuerleben, wie im Gründungsprozess Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler innerhalb kürzester Zeit eine neue Verantwortung in der Entwicklung, Produktion, im Verkauf oder der Personalführung annehmen.

Cantner: Es gibt das sogenannte European Paradox. Das bedeutet in Kurzform, Europa ist in der Wissenschaft so gut wie die USA, aber es gibt in den USA deutlich mehr Ausgründungen aus der Wissenschaft. Die Politik unterstützt das auch hierzulande. Frau König hat die Programme ja bereits angesprochen. Die Förderprogramme holen die Forschenden in der Regel allerdings dort ab, wo sie sich für den Transfer in die Praxis bereits entschieden haben. Das Problem liegt aber noch ein Stückchen weiter vorne. Wie bekomme ich Forschende dazu, überhaupt über eine Ausgründung nachzudenken. Die Gründernetzwerke an den Hochschulen sind sicher schon ein guter Ansatz. Wir haben da aber noch Luft nach oben.

Herr Professor Cantner, in der heutigen Zeit sind Innovationen nicht mehr allein auf den technologischen Fortschritt begrenzt, sondern suchen Lösungen für drängende Herausforderungen wie dem Klimawandel. Welche Rolle sollten staatliche Akteurinnen und Akteure dabei spielen?

Cantner: Die Innovationen, die heute notwendig sind, sind eine Abkehr von vielem, was wir in der Vergangenheit gemacht haben. Diese radikalen Innovationen zeigen einen hohen Grad an Kreativität, aber auch einen hohen Grad an Zerstörungskraft. Da werden komplette Geschäftsmodelle zerstört, etwa in der Automobilindustrie. Unternehmen kommen an die Grenze des wirtschaftlich Machbaren, Beschäftigte werden entlassen. Diejenigen, die davon betroffen sind, machen verständlicherweise gar nicht gerne mit. Da braucht man jemanden, der die Initialzündung gibt und motiviert. Das kann der Staat sein, indem er Rahmenbedingungen setzt. Und es ist natürlich auch eine staatliche Aufgabe, den radikalen Wandel sozial abzufedern.

Portraitfoto von Prof. Uwe Cantner, Leiter des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre/Mikroökonomik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist außerdem Vorsitzender der von der Bundesregierung berufenen Expertenkommission Forschung und Innovation

Prof. Uwe Cantner hat den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre/Mikroökonomik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena inne und ist Vorsitzender der von der Bundesregierung berufenen Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI).

Für mehr Innovationsdynamik werden zudem neue Innovationsinstrumente und mehr Agilität in der Innovationspolitik gefordert, so auch von der EFI-Kommission im Jahresgutachten 2021. Wie könnte das konkret aussehen?

König: Agilität wird oft mit einfach und schnell gleichgesetzt. Aus meiner Sicht ist Agilität aber gerade in komplexen Förderprogrammen möglich. Beispiele sind hier das neue Transferförderprogramm T!Raum oder der Konzeptwettbewerb WIR! Wandel durch Innovation in der Region aus dem Programm Innovation & Strukturwandel des Bundesforschungsministeriums. T!Raum ist eine lang angelegte Maßnahme, bei der die Geförderten immer wieder die Möglichkeit haben, Ansätze für Transfer zu testen, zu verwerfen und sich neu auszurichten. Bei WIR! werden Bündnisse mit bis zu 100 Partnerinnen und Partnern gefördert. Sie sollen ihre ganz verschiedenen Perspektiven und Kompetenzen zusammenbringen und daraus ein breites Spektrum an Innovationen entwickeln. Das ist das Spannungsfeld, in dem wir versuchen, Agilität umzusetzen.

Cantner: Wir hatten das im Jahresgutachten 2021 der EFI aus einem besonderen Blickwinkel betrachtet, nämlich mit Bezug auf die großen Transformationen. Da stellt sich die Frage, wie kann deren Umsetzung beschleunigt werden, wo baut man bürokratische Hürden ab. Dann geht es auch darum, möglichst viele Menschen mitzunehmen, proaktiv voranzugehen und Innovationspolitik transparent zu machen. Zu einem agilen Staat gehört auch eine positive Fehlerkultur dazu.

Gibt es bereits Innovationsinstrumente, die diesen Anspruch erfüllen?

Cantner: Als neue innovationspolitische Instrumente werden Reallabore und Experimentierräume gehandelt. Ich denke aber, für eine Bewertung ist es noch zu früh. Ein weiteres wichtiges Instrument der FuE-Politik ist die Evaluation an sich.

König: Das kann ich nur bestätigen. Monitoring und Evaluation sind aus unserer Sicht ganz zentral, um herauszufinden, ob die Programme funktionieren und ob die damit verbundenen Ziele erreicht werden. Es braucht aber auch Zeit, bis ein Förderprogramm tatsächlich sichtbare Ergebnisse zeigt.

Deutschland galt lange als Innovationsweltmeister. Im Bloomberg Innovation Index erreicht es 2021 immerhin noch den vierten Platz. Wie kann es gelingen, diese Position an der Spitze auch künftig zu behaupten?

König: Für uns bleibt die größte Herausforderung, neue Akteurinnen und Akteure für die Innovationsförderung und die Unternehmensgründung zu gewinnen. Innovation und Gründung erfordern Mut. Hier müssen wir als Gesellschaft im Ganzen mehr Risiko- und Innovationsbereitschaft beweisen. Das betrifft auch die Schulbildung und die Integration kreativer Köpfe aus dem Ausland.

Cantner: Dass Deutschland zurückgefallen ist, wundert mich überhaupt nicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg standen wir lange an der Spitze der Innovationsländer. Daran war die FuE-Politik der Bundesregierung durchaus maßgeblich beteiligt. Aber jetzt sind wir in einer Transformationssituation. Und das Zurückfallen hat nichts damit zu tun, dass andere besser darin sind, aktuelle Technologien oder Produkte weiterzuentwickeln und zu verbessern. Sondern, die anderen schaffen radikal neue Technologien und bauen damit Maschinen und Güter ganz neuen Typs. Und das können wir – noch – nicht so gut. Wir müssen in neueste Entwicklungen mit hohem Risiko und hohem Finanzvolumen reingehen. Wir müssen uns auf diesen radikalen Wandel einlassen.

Bildnachweise


  • Bild „Innovation als regionales Ereignis“: © Iurii Vakaliuk, IMB, TU Dresden
  • Bilder Interview: © Andrea Schuster

Hinweise


Die Texte stammen aus dem Dossier „Regionale Innovationsförderung“ des PtJ-Geschäftsberichts 2021.
Redaktion:

  • Projektträger Jülich, Forschungszentrum Jülich GmbH
  • PRpetuum GmbH
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