Ein Phoenix aus der Kohle-Asche

Der Kohleausstieg ist beschlossen – laut Koalitionsvertrag idealerweise bis 2030. Doch noch arbeiten allein im Rheinischen Revier in der Niederrheinischen Bucht rund 20.000 Menschen in der Kohleförderung. Mit der jüngst eingerichteten Modellregion Bioökonomie schaffen der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) im Rheinischen Revier eine Zukunftsperspektive für die Menschen und die Region. Sie realisieren hier den Umstieg von einer auf fossilen Rohstoffen aufbauenden Wirtschaft hin zu einer nachhaltigen, an den regionalen Gegebenheiten ausgerichteten Bioökonomie, einer biobasierten Wirtschaft.

Das Rheinische Revier wandelt sich zu einem zukunftsfähigen Bioökonomie-Revier. Zwar stelle der Ausstieg aus der Kohle die Region vor große wirtschaftliche Herausforderungen, doch er biete gleichzeitig Chancen für eine Neuausrichtung, erklärt Professor David Antons, Direktor des Instituts für Technologie- und Innovationsmanagement an der RWTH Aachen. „Genau dieses Veränderungsmoment möchte die Modellregion Bioökonomie nutzen: Es soll die Neuausrichtung hin zu einem ökologisch nachhaltigen Wirtschaften in der Region erfolgen.“

Die Modellregion baut auf den besonderen Stärken der Region auf: Das Forschungszentrum Jülich und die RWTH Aachen sind hochkarätige Bioökonomie-Forschungseinrichtungen, in deren Umfeld sich bereits viele Start-ups angesiedelt haben. Auch viele alteingesessene Firmen kooperieren. Zudem ist das Rheinische Revier mit seinen fruchtbaren Böden ein ertragsstarker Agrarstandort. Denn laut Antons „sollen nachwachsende Ressourcen eine wesentliche Rolle spielen, welche in der Region angebaut, geerntet und wertschöpfend in unterschiedlichen Industrien weiterverarbeitet werden. Dadurch soll unmittelbar Wertschöpfung in der Region entstehen“.

Mit seinem Institut für Technologie- und Innovationsmanagement spielt Antons in der Fördermaßnahme Modellregion Bioökonomie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) eine wichtige Rolle: Als Teil des Konsortiums von RWTH Aachen und TU Dortmund dürfen wir die Modellregion als politisches Instrument des Strukturwandels begleiten. Ziel ist es herauszufinden, ob, wie und wie sehr die Modellregion ökologischen Strukturwandel erzeugt und welche Maßnahmen geeignet sind, damit eine Modellregion in der Fläche Wirkung erzielt.“ Dabei ist es auch wichtig, der Region nicht nur ein Programm überzustülpen, man will auch die Menschen vor Ort mitnehmen. Derzeit richtet sein Institut gemeinsam mit dem Forschungszentrum Jülich eine Geschäftsstelle ein, die interessierten Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen, Gründungswilligen sowie Forschenden als erste Anlaufstelle dienen wird.

Neue Arbeitsplätze schaffen

Neben der ergänzenden Begleitforschung wird die Modellregion Bioökonomie durch zwei große und komplexe Konsortien („Flagships“) mit Leben gefüllt, um eine technologieorientierte Forschungsförderung der Bioökonomie zu betreiben. Beide haben das Zertifizierungsprogramm der Zukunftsagentur Rheinisches Revier erfolgreich durchlaufen. Das erste Flagship ist das Kompetenzzentrum Bio4MatPro für eine Biologische Transformation von Industrien unter der Führung von Professor Ulrich Schwaneberg, Leiter des Instituts Biotechnologie an der RWTH Aachen. Bio4MatPro hat eine deutlich biotechnologisch ausgerichtete Stoßrichtung und das erklärte Ziel, messbar und für die Region spürbar neue Arbeitsplätze zu schaffen, die sich aus dem rein akademischen Umfeld heraus entwickeln und in Form von Firmengründungen und -ansiedlungen etablieren werden. Hierbei setzt man auf eine enge Kooperation mit regional verwurzelten Einrichtungen aus Forschung und Industrie.

Das zweite Flagship ist ein Konsortium, das mit dem Titel BioRevierPLUS unter der Leitung von Professor Ulrich Schurr vom Forschungszentrum Jülich, Leiter des Instituts für Pflanzenwissenschaften, ins Leben gerufen wurde. Das Konsortium hinter BioRevierPLUS wird nach einem erfolgreichen und ebenfalls durch das BMBF geförderten Sofortprogramm von 2019 bis 2021 die sogenannten Innovationslabore (InnoLabs) fortführen und sie entscheidend weiterentwickeln. Das war der Startschuss für die weithin sichtbare Modellregion Bioökonomie und die Transformation des Rheinischen Kohle-Reviers.

Die Innovationslabore gelten innerhalb des BioRevierPLUS als Keimzellen für Kooperation und Wertschöpfung im Rheinischen Revier und sind in den drei Projektclustern Innovative Landwirtschaft, Biotechnologie & Kunststoffwirtschaft sowie Integrierte Bioraffinerie gebündelt.

Vorbild für andere Standorte

Innovationen entstehen dadurch, dass Forschungseinrichtungen die Kristallisationskerne bilden. In ihrem Umfeld sollen sich neue Start-ups entwickeln und ansiedeln. Ebenso binden sie etablierte Firmen ein, die um die Stärken und Probleme der Region wissen. Schließlich soll nicht nur die Region alleine profitieren, vielmehr sollen Technologien entwickelt werden, die auch an anderen Standorten genutzt und dorthin exportiert werden können, erklärt Antons: „Die Vision ist, dass die Modellregion so zum Nukleus des bioökonomischen und nachhaltigen Technologiestandorts Deutschland werden kann.“

Hinter den Kulissen

Den vom Ausstieg betroffenen Kohle-Revieren muss schnell und effizient unter die Arme gegriffen werden – das empfahl die sogenannte Kohle-Kommission bereits 2019. Aus dieser Empfehlung erwuchs mit dem Strukturstärkungsgesetz im Sommer 2020 die rechtliche Grundlage für eine umfangreiche Förderung. Für die drei vom Strukturwandel betroffenen Regionen stehen insgesamt 40 Milliarden Euro zur Verfügung, ein gutes Drittel fließt nach NRW. Die amtierende Bundesregierung hat den Fahrplan dann noch einmal gestrafft: Nun ist das Ziel, den Kohleausstieg bis 2030 zu schaffen. Die Zeit drängte also.

Dies bot die Gelegenheit, eine Transformation des Rheinischen Reviers hin zu einer Modellregion Bioökonomie anzugehen. Die Idee, diese zu fördern war ein Beispiel dafür, wie es idealerweise laufen sollte: Es war eine Co-Produktion von Fördermittelgebern, Projektträger Jülich und Forschungs-Community. Das Ziel war, möglichst viele Bioökonomie-Akteurinnen und -Akteure im Rheinischen Revier unter einem Dach zu versammeln und auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören.

Die ersten Projekte starteten im Herbst 2019 in einem Sofortprogramm. Die Förderaktivität Modellregion Bioökonomie folgte im Dezember 2021. In der ersten Förderrunde stehen rund 75 Millionen Euro zur Verfügung. Eine zweite Runde ist geplant.

Bildnachweise


  • Bild „Ein Phoenix aus der Kohle-Asche“: © Lubos Chlubny – stock.adobe.com
  • Bild „Hinter den Kulissen“: Projektträger Jülich, Forschungszentrum Jülich GmbH

Hinweise


Die Texte stammen aus dem Dossier „Regionale Innovationsförderung“ des PtJ-Geschäftsberichts 2021.
Redaktion:

  • Projektträger Jülich, Forschungszentrum Jülich GmbH
  • PRpetuum GmbH
Der Projektträger Jülich in Zahlen im Jahr 2023
1.629
Mitarbeiter/innen
30.770
Laufende Vorhaben
3392,05
Fördervolumen in Mio. Euro
4
Geschäftsstellen

PtJ ist zertifiziert nach DIN EN ISO 9001 : 2015 und ISO 27001 auf Basis IT-Grundschutz