Wasserstoff transportieren

Ohne eine geeignete Infrastruktur zum Transport von Wasserstoff kann eine Wasserstoffwirtschaft nicht funktionieren. Dafür werden sowohl neuartige Speichermethoden und -behälter, als auch teilweise gänzlich neue Transporttechnologien benötigt.

Endlich Grün!

Von der schmutzigsten Stadt Europas zum Testlabor für Grünen Wasserstoff: Bitterfeld-Wolfen hat sich binnen drei Jahrzehnten vom ökologischen Schmuddelkind zum Standort für Grüne Wasserstofftechnologien gewandelt. Im 12.000 Quadratmeter großen Wasserstoffdorf wird derzeit eine einzigartige Infrastruktur getestet.

Beißende Dämpfe, verseuchte Böden, ein ganzer See aus giftigen Abwässern und Schlämmen: Zu DDR-Zeiten galt der Chemie-Standort Bitterfeld als dreckigste Stadt Europas. Und obwohl der typische Geruch nach faulen Eiern längst nicht mehr in der Luft hängt, ist dieses ökologisch dunkle Kapitel auch drei Jahrzehnte nach der Deutschen Einheit noch präsent: „Durch die Entsorgung der Altlasten auf diesem Gelände verzögerte sich der Bau des Wasserstoffdorfes“, sagt etwa Jürg Ziegenbalg von der Mitteldeutsche Netzgesellschaft Gas mbH (MITNETZ GAS).

Mit dem Wasserstoffdorf schreibt der Chemiepark Bitterfeld-Wolfen rund 125 Jahre nach seiner Entstehung nun ein neues und erstmals grünes Kapitel. Seit 2016 forscht MITNETZ GAS gemeinsam mit weiteren Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft an einer in Deutschland bisher einzigartigen Wasserstoff-Testinfrastruktur: Auf einem 12.000 Quadratmeter großem Areal an der Chlorstraße werden noch bis Ende 2021 die Verteilung und Anwendung von Wasserstoff in einer urbanen Versorgungsanlage untersucht.

Auf einem großen Gelände ist eine gelbe Rohrleitung an mehreren metallenen Aufnahmen befestigt.

Mit der oberirdischen Rohrbrücke wird der Einfluss der Umgebungsbedingungen auf das Material getestet.

Ein Netz aus Rohren

Die Partner des Projektes H2-Netz haben dabei besonders die Rohrleitungen im Fokus. Denn für Rohrleitungssysteme zum Transport von Gas spielen teure Stahlwerkstoffe bislang eine dominante Rolle. Im Wasserstoffdorf werden im Gegensatz dazu hochdichte Metall-Kunststoff-Verbundrohre und Polyethylen-Rohre verwendet. Ein Netz von Rohren mit 1,4 Kilometern Gesamtlänge schlängelt sich ober- und unterirdisch durch das Gelände und steht für die unterschiedlichsten Tests bereit: Welchen Einfluss haben Temperaturschwankungen und UV-Strahlung auf die Materialien? Welchen Geruchsstoff kann man dem Wasserstoff beimischen, um austretendes Gas leichter zu entdecken? Und wie schneidet das Wasserstoffnetz im Vergleich zu etablierten Erdgasnetzen ab?

Die Antworten auf diese und weitere Fragen kennt Patrick Becker, Projektkoordinator bei MITNETZ GAS. Erstens könnten Anlagen aus dem Erdgasbereich im Wesentlichen auch für Wasserstoff genutzt werden, zweitens hätten die Kunststoffverbundrohre Kostenvorteile gegenüber Stahlrohren, und drittens ermöglichten sie schnellere und kostengünstigere Verlegeverfahren, erläutert Becker und resümiert: „Der zweijährige Testbetrieb hat gezeigt, dass die genutzten technischen Anlagen und Materialien für einen sicheren Wasserstofftransport geeignet sind. Damit einher geht eine enorme Kostenersparnis.“

Wasserstoff im Blockheizkraftwerk

Doch zu einem Dorf gehört mehr als ein Rohrleitungssystem, üblicherweise sind das Wohngebäude und Gewerbebetriebe. Genau diese standen im Mittelpunkt des Projekts H2-Home. In diesem Rahmen wurde eine Brennstoffzellen-Technologie erforscht, die in einem Blockheizkraftwerk Wasserstoff in Strom und Wärme umwandelt und Haushalten sowie Betrieben zur Verfügung stellt.

Sowohl H2-Netz als auch H2-Home sind Teil des Konsortiums HYPOS – Hydrogen Power Storage & Solutions East Germany. Darin erforschen und entwickeln seit 2014 etwa 120 Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft Grüne Wasserstofftechnologien entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) stellt dafür im Rahmen des Unternehmen-Region-Programms Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation rund 45 Millionen Euro an Fördermitteln bereit. So konnte HYPOS in den vergangenen Jahren nicht nur mit dem Wasserstoffdorf Aufsehen erregen, sondern etwa auch mit dem weltweit ersten Wasserstoff-Sauerstoff-Kreislaufmotor, der lediglich Wasser ausstößt. Die Zeiten beißender Abgase sind also auch hier endgültig vorbei.

Hinter den Kulissen

„Das Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation, in dem HYPOS gefördert wird, ist etwas Besonderes – wegen seines hohen Anspruchs, Zukunftsprobleme lösen zu wollen, aber auch wegen seines Volumens von rund 500 Millionen Euro.

Ab 2010 hat der Projektträger Jülich Zwanzig20 gemeinsam mit dem BMBF entwickelt. Ich selbst bin im Jahr 2013 dazugekommen, also mitten hinein in die heiße Bewerbungsphase. Seitdem investiere ich einen Großteil meiner Arbeitszeit in die Steuerung und Begleitung dieses Programms. Dazu gehören zum Beispiel der enge Austausch mit dem BMBF, das Monitoring der Konsortien, die Mittel- und Ressourcenplanung des Programms und natürlich der enge Austausch mit meinem Team.

Zu diesem Team gehören neben zehn Konsortialbetreuerinnen und -betreuern mit ihrem direkten Draht in die Konsortien weitere wissenschaftliche und betriebswirtschaftliche Mitarbeitende und Terminsachbearbeiterinnen und -sachbearbeiter – insgesamt rund 50 Spezialistinnen und Spezialisten aus drei Fachbereichen. Gemeinsam haben wir die Umsetzung von bislang rund 1.800 Forschungsvorhaben unterstützt!“

Dr. Anja Gorka

Leiterin des Fachbereichs Nachhaltige Regionale Innovationen beim Projektträger Jülich

Regional mehr erreichen

Warum sich nicht die bestehenden regionalen Voraussetzungen und Strukturen zu Nutze machen, die einzelnen Akteurinnen und Akteure verbinden und weitere Partner involvieren/einladen? Das Reallabor Westküste100 verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der über die Erzeugung, Speicherung und den Transport Grünen Wasserstoffs an der Westküste Schleswig-Holsteins noch hinausgeht.

Wie kann man den Strom von Windkraftanlagen zukünftig effizient verteilen und nutzen? Die Antwort scheint naheliegend, zumindest für die zehn Partner des Reallabors Westküste100. Das Ziel der branchenübergreifenden Partnerschaft ist der Aufbau einer regionalen Wasserstoffwirtschaft. Hierfür wird eine 30-Megawatt-Elektrolyseanlage errichtet, die mithilfe von regenerativem Strom Grünen Wasserstoff herstellt. Dieser soll dann in Kavernen, unterirdischen Hohlräumen, gespeichert und neben der Nutzung in der Raffinerie durch ein Pipelinesystem für die weitere Nutzung transportiert werden.

Die Vernetzung der regional ansässigen Unternehmen ist für den Erfolg des Projekts sehr wichtig. „Das Besondere am Westküste100-Vorhaben ist, dass wir als Forschungsprojekt eine sehr starke Industriepartnerschaft und -nähe haben“, erzählt Dr. Marcel Goelden von der Raffinerie Heide, die Verbundkoordinator des Projektes ist. Vor Ort in Hemmingstedt soll in der Raffinerie regenerativ erzeugter Strom durch Elektrolyse in Grünen Wasserstoff umgewandelt werden. Bis Ende 2023 soll die Elektrolyseanlage mit einer Leistung von 30 Megawatt in Betrieb gehen: eine Anlage, wie es sie bis jetzt nirgends auf der Welt gibt. Als zweiter von drei Themenschwerpunkten wird das Speichersystem für den erzeugten Wasserstoff in Angriff genommen. Auch hier sind die schon vorhandenen Begebenheiten der Windenergie-Region ideal, denn sie besitzt ausgezeichnete geologische Speicherbedingungen, und zwar in Form eines Kavernensystems. Doch hier enden die Bemühungen des Projektes nicht, denn der Wasserstoff muss für die weitere Nutzung zum Kunden transportiert werden.

Grüner Kreislauf

Für diese Verteilung ist eine zehn Kilometer lange Pipeline – teilweise aus einem neuartigen Composit-Material – geplant, die die Raffinerie, das Gasverteilnetz der Stadtwerke und das Speichersystem in einem verzweigten Wasserstoffnetz miteinander verbindet. Die Frage, wie viel Wasserstoff dem Erdgas im Verteilnetz zukünftig beigemischt werden kann, ein anschließendes Monitoring aller relevanten Anlagen sowie die Ableitung von weiteren Erkenntnissen für das gesamte Verteilnetz sind ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Forschungsarbeiten.

Der Fokus der Westküste100-Partner beschränkt sich jedoch nicht allein auf den Wasserstoff. Die regionale Zementproduktion wird perspektivisch den Sauerstoff nutzen, der als Nebenprodukt der Elektrolyse entsteht, um die Produktion zu dekarbonisieren. Ebenso perspektivisch sollen aus dem entstehenden CO2 zusammen mit dem Wasserstoff in der Raffinerie Heide synthetische Kohlenwasserstoffe, etwa als Kraftstoff für den Flugverkehr, hergestellt werden. Und auch die Abwärme findet Verwendung: Sie soll in ein bestehendes Wärmenetz ausgekoppelt und weiter genutzt werden.

Das Projekt Westküste100 ist zwar erst seit August 2020 in der Umsetzungsphase und entscheidet erst Ende 2021 über seine Investitionen, dennoch „denken wir im Projekt bereits jetzt sehr ambitioniert, wir planen bereits die nächsten Schritte“, so Goelden. Denn sobald das Projekt umgesetzt ist, soll das Ziel einer industriellen Umsetzung angegangen werden – der Aufbau einer circa 700-Megawatt-Elektrolyseanlage; und das noch innerhalb dieser Dekade.

International Synergien nutzen

Für die Energieversorgung ganz Deutschlands würde eine autarke Wasserstoffproduktion nicht reichen. Die Vorzüge verschiedener Länder zu verbinden und gemeinsam eine stabile und effiziente Wasserstoffwirtschaft aufzubauen, wäre eine gute Lösung. Im Projekt HySupply arbeitet deshalb ein internationales Experten-Team aus Deutschland und Australien daran, den Import von klimaneutralen Energieträgern und den Export von Wasserstofftechnologien möglich zu machen.

Die Nationale Wasserstoffstrategie hat das Ziel, bis 2030 fünf Gigawatt Elektrolyseleistung zu errichten, umgerechnet sind das 420.000 Tonnen Wasserstoff. Der tatsächlich prognostizierte Bedarf liegt allerdings bei bis zu drei Millionen Tonnen. Wo bekommt man also die restlichen 2,58 Millionen Tonnen her?

„Das Ziel von HySupply ist es, die Bauzeichnung für eine Wasserstoffbrücke zwischen beiden Ländern zu liefern. Damit wollen wir dazu beitragen, den Weg für einen globalen Wasserstoffmarkt zu ebnen“, betont Christoph Stemmler, wissenschaftlicher Referent für Energie, Ressourcen, Nachhaltigkeit bei acatech, einem der beiden deutschen Kooperationspartner des Projekts. Es sollen also künftige Geschäftsmodelle entlang der gesamten Wertschöpfungskette identifiziert werden, mit ihren Vor- und Nachteilen.

Australien und Deutschland zusammen könnten den Durchbruch schaffen: deutsche Technologie und australische Ressourcen – eine perfekte Symbiose, und das langfristig. Als Land mit der flächenmäßig meisten Sonneneinstrahlung pro Quadratmeter und windreichen Küsten gilt Australien als einer der größten potenziellen Exporteure für erneuerbare Energien. Mehr als genug Übung im Transport von Rohstoffen ist jetzt schon vorhanden, denn Kohle, Erdgas und andere Erze werden bereits seit Jahren exportiert. Auch durch das Freihandelsabkommen der EU mit Australien wird der Verkehr zwischen den Kontinenten zukünftig ohnehin reger als je zuvor werden. Dennoch stellt sich die Frage nach der Entfernung: Kann es klimafreundlich und kostengünstig sein, auch Wasserstoff über so eine weite Strecke zu transportieren?

Die Grünen Tanker

Zunächst muss klar sein: Wasserstoff kann über so eine weite Strecke nicht als Gas in einer Pipeline transportiert werden. Es bleibt also nur der Schiffstransport. Um ihn für den Transport in Tankern vorzubereiten, muss er entweder verflüssigt oder in ein Trägermedium, wie Ammoniak oder Methanol, umgewandelt werden. Damit die Tanker auch „grün“ sind, also CO2-arm fahren, muss hierfür ebenfalls eine Lösung her. Allein der Schiffsverkehr ist nämlich für 2,6 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Betriebe man die Tanker allerdings mit dem von ihnen selbst transportierten, erneuerbaren Energieträger, hätte man dieses Problem gelöst.

Grüner Wasserstoff nachhaltig erzeugt, umgewandelt und CO2-arm transportiert – wenn dieses Vorhaben Früchte trägt, können Deutschland und Australien einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz und zum Aufbau einer globalen Wasserstoffwirtschaft leisten.

Bildnachweise


  • Bild „Wasserstoff transportieren“: ©sss78 – stock.adobe.com
  • Bild „Endlich Grün!“: ©Thilo Schoch, Berlin
  • Bild „Regional mehr erreichen“: ©Raffinerie Heide
  • Bild „International Synergien nutzen“: ©jmimages – stock.adobe.com
  • Grafik: Projektträger Jülich, Forschungszentrum Jülich GmbH

Hinweise


Die Texte stammen aus dem Dossier „Grüner Wasserstoff“ des PtJ-Geschäftsberichts 2020.
Redaktion:

  • Projektträger Jülich, Forschungszentrum Jülich GmbH
  • PRpetuum GmbH
Der Projektträger Jülich in Zahlen im Jahr 2023
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