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Wasserstoff ist überall. Er ist Bestandteil fast aller organischen Verbindungen, vor allem von Wasser. „Das Wasser ist die Kohle der Zukunft. Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom erzeugt worden ist. Die so zerlegten Elemente des Wassers, Wasserstoff und Sauerstoff, werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern.“ Dies schrieb der Schriftsteller Jules Verne schon 1874 in seinem Roman „Die geheimnisvolle Insel“. Eine wahrhafte Zukunftsvision, denn erst rund hundert Jahre später sollte das Potenzial dieses Elements in seinem vollen Umfang verstanden werden.
Denn Wasserstoff kann die Grundlage für eine ganze Industrie sein. Nach einer Studie der EU-Kommission könnten in Europa rund 5,4 Millionen Arbeitsplätze bis 2050 entstehen, mit einem Umsatz von mehr als 800 Milliarden Euro im Jahr.
Deutschland will in diesem Markt weltweit erfolgreich sein. Mit der Nationalen Wasserstoffstrategie hat die Bundesregierung dazu die Grundlagen gelegt. Und immer mehr Länder ziehen nach – das globale Wettrennen hat begonnen.
Die Energiewirtschaft wird in Zukunft nicht auf Wasserstoff verzichten können, in besonderem Fokus steht hier der Grüne Wasserstoff (Abbildung unten), der als Fundament für eine erfolgreiche Energiewende betrachtet wird. Die Grüne Wasserstoffwirtschaft steckt jedoch noch in den Kinderschuhen.
Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, müssen fossile Energien nach und nach ersetzt werden. In diesem Bewusstsein sind in den letzten Jahren neue Photovoltaik- und Windkraftanlagen entstanden. Allein in Deutschland betrug Ende 2020 die installierte Gesamtleistung aus Onshore-Windenergie fast 55 Gigawatt und die aus Offshore-Windenergieanlagen rund 8 Gigawatt.
Wenn der Wind weht oder die Sonne scheint, wird Strom erzeugt, der Großteil davon direkt genutzt und der Überschuss gespeichert. Die Realität ist jedoch eine Überproduktion, für die ein geeignetes Speichermedium fehlt. Die Folgen sind Zwangsabschaltungen von Ökostromanlagen, die allein 2019 bundesweit rund 710 Millionen Euro gekostet haben. Wasserstoff, vor allem Grüner Wasserstoff, bietet hier neue Möglichkeiten: Er ist ein idealer Energieträger, der aus erneuerbaren Energien erzeugt, in großen Mengen gespeichert und später wieder in Strom zurückgewandelt werden kann – vollkommen klimaneutral.
Spätestens mit der Verabschiedung der Nationalen Wasserstoffstrategie zeigt die deutsche Bundesregierung, wie wichtig Wasserstoff für die Zukunft Deutschlands ist. Mit mehreren Milliarden Euro fördert sie viele zukunftsweisende Projekte. Darunter sind auch zwei Reallabore der Energiewende am Hochrhein in Grenzach-Wyhlen und am Hamburger Hafen, die sich mit der Produktion von Grünem Wasserstoff, der Entwicklung eines Elektrolyseurs und der ganzheitlichen Speicherung aller Produkte beschäftigen. Die Elektrolyse, also die chemische Spaltung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff, ist schon seit langem bekannt, dennoch werden die dazu benötigten Elektrolyseure noch nicht in Serienproduktion gefertigt und die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem.
Ein wichtiger Baustein einer Wasserstoffwirtschaft ist der Ausbau einer Infrastruktur für den Wasserstoff-Transport. Wie ein Wasserstoff-Pipelinesystem aussehen und funktionieren könnte, wird in Bitterfeld in Sachsen-Anhalt im Wasserstoffdorf getestet. Die Integration von Produktion, Speicherung, Verteilung und Nutzung von Wasserstoff in schon bestehende Strukturen wird auch an der Westküste Schleswig-Holsteins erforscht. Dennoch wird die Energie, die mit einem massiven Ausbau von Windkraft und Solarenergie erzeugt wird, nicht für ganz Deutschland ausreichen. Sie muss zukünftig importiert werden, zum Beispiel aus Ländern mit einem großen Angebot an erneuerbaren Energien, wie Australien.
Für die Nutzung im häuslichen und industriellen Bereich muss der gespeicherte Wasserstoff, durch hocheffiziente Energiewandler wie Brennstoffzellen, in Strom zurückgewandelt werden. Gerade im Verkehrsbereich bieten sich hier viele CO2-Einsparungsmöglichkeiten. Nicht nur der Straßenverkehr, auch der Schiffsverkehr, muss klimaneutral gestaltet werden; genau wie der Wärmesektor, für den der Einsatz von klimaneutralem Wasserstoff, vor allem bei der industriellen Prozesswärme, ein hohes CO2-Einsparungspotenzial bietet.
Viel wissenschaftliches Know-how findet sich in den ehemaligen Kohlegebieten, wie dem Rheinischen Revier. Das Ende der Braunkohleverstromung und der Aufbau einer neuen klimaneutralen Industrie bieten den Menschen vor Ort die Chance auf neue Arbeitsplätze und den Erhalt lokaler Wertschöpfung. So könnte das Rheinische Revier zu einer Modellregion für eine funktionierende Wasserstoffindustrie werden und damit ein wichtiger Akteur einer neuen Energiewirtschaft in Deutschland.
Herr Professor Schlögl, Herr Dr. Bessau, Grüner Wasserstoff wird mithilfe erneuerbarer Energien gewonnen und, wenn man ihn energetisch nutzt, setzt er keinerlei klimawirksame Gase frei. Ist Grüner Wasserstoff also der Schlüssel für die Energiewende?
Schlögl: Ja, er ist der Schlüssel für die Energiewende. Zumindest wenn wir von der Vorstellung einer autarken Wasserstoff-Nation absehen und einen globalen Energiemarkt anstreben. Nur 200 der als Primärenergiebedarf benötigten 3.500 Terawattstunden können im deutschen Energiesystem zum jetzigen Zeitpunkt durch erneuerbare Energien erzeugt werden. Deutschland muss also international produzieren.
Bessau: Hundertprozentige Autarkie und der Verzicht auf eine internationale Arbeitsteilung wären allein schon finanziell nicht vertretbar! Für die Energiewende ist Wasserstoff definitiv ein zentrales Element, aber einer von mehreren Schlüsseln. Er wird einen enormen Lösungsbeitrag liefern, dennoch gibt es aber auch in den meisten Anwendungsgebieten Alternativen, also Wettbewerb um Lösungen.
Wir reden von Grünem Wasserstoff. Aber was macht ihn eigentlich „grün“?
Bessau: Durch Elektrolyseverfahren wird mit erneuerbarem Strom – Wind-, Photovoltaik- oder auch Biomasse-Strom – Wasserstoff hergestellt. Grüner Strom ist das Kernelement für Grünen Wasserstoff. Doch soll die gesamte Wertschöpfungskette „grün“ sein, müssen wirklich alle Produkte und Produktionsprozesse nachhaltig auf erneuerbaren Energiequellen beruhen.
Schlögl: CO2-freier Wasserstoff ist eine Wunschvorstellung. Bei der Herstellung einer Tonne Grünen Wasserstoffs entstehen immer noch zwei bis vier Tonnen Kohlendioxid – deutlich weniger als die rund zehn Tonnen CO2, die heute mit jeder Tonne Wasserstoff anfallen. Die deutsche Farbenlehre ist deshalb irreführend. Der CO2-Rucksack wäre ein passender internationaler Standard, der den Wert von Wasserstoff feststellt. Das Problem ist: Jedes Land versteht etwas anderes unter Grünem Wasserstoff, weil man sich weltweit nicht auf ein Verfahren einigt.
Wo liegen die Vorteile und Chancen von Grünem Wasserstoff?
Bessau: Wir benötigen im Energiesystem Speicher, um insbesondere die Stabilität des Stromnetzes zu gewährleisten. Dafür benötigt man mittel- bis langfristig deutlich mehr Speicher oder eben einen weiteren Energieträger: Wasserstoff. Zudem kann mit Energieträgern aus erneuerbarem Strom die Industrie die CO2-Ziele erreichen, indem sie fossile Energieträger und Produktionsmittel ersetzt.
Schlögl: Grüner Wasserstoff ist ein fundamentales Element jedes nachhaltigen Energiesystems. Ein ganz wichtiger Faktor: Wasserstoff ist ein Speichermedium für große Mengen und lange Zeit. Ohne Wasserstoff wird es beinahe nirgendwo auf der Welt ein erneuerbares Energiesystem geben. Langfristig werden wir einen neuen globalen Energiemarkt brauchen. Die Bedeutung des Wasserstoffs anzuerkennen, ist ein großes Verdienst der Nationalen Wasserstoffstrategie Deutschlands.
Der Anspruch der Nationalen Wasserstoffstrategie ist es, einen weltweiten Leitmarkt zu entwickeln und sich als Leitanbieter zu etablieren. Wo steht Deutschland im Moment national beim Thema Grüner Wasserstoff? Und wo kann es hingehen?
Schlögl: Es sind hohe Ziele, Leitmarkt und Leitanbieter sein zu wollen, aber es ist durchaus möglich. Weltweit gibt es kaum eine so ausgeprägte Wasserstoffforschung wie in Deutschland. Andere Länder – wir sehen es gerade in Amerika und schon lange in Asien – holen allerdings sehr schnell auf. Was bedeutet dann Technologieführerschaft, wenn der Konkurrent schneller und billiger produzieren kann?
Bessau: Wissens- und Kompetenzerwerb, also Forschung, Entwicklung und Innovation, sind unsere Stärke, da Deutschland die natürlichen Ressourcen fehlen. Mit der Formulierung der Wasserstoffstrategie spielt auch unser Land im globalen Wettbewerb mit. Jetzt ist es wichtig, Forschung und Entwicklung weiter voranzutreiben, Innovationsanreize zu setzen und echte Großanlagen entstehen zu lassen, um Wertschöpfungsketten aufbauen zu können. Dann stehen unsere Chancen nicht schlecht, in diesem sich enorm schnell entwickelnden Wettbewerb zu bestehen.
Wie kann die Politik dazu beitragen, eine Grüne Wasserstoffwirtschaft aufzubauen und welche Instrumente wären hier besonders geeignet?
Bessau: Die jetzige Forschungsförderung muss grundsätzlich beibehalten werden. Als nächstes kommen Marktskalierung und Netzwerkbildung. Anreize für Strukturen wie Reallabore, die Player zusammenbringen, müssen gesetzt werden. Gleichzeitig brauchen wir langfristig wirkende Elemente, im Wasserstoffwettbewerb sind das vor allem CO2-Mindestpreise. Das wäre ein wesentliches Marktsignal für alle Beteiligten. Und als letzter Punkt muss eine Infrastruktur für die Wasserstoffindustrie der Zukunft geschaffen werden.
Schlögl: Die Ausbildung neuer Fachkräfte ist sehr wichtig. Schon jetzt fehlen vielen Unternehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auf diesen strukturellen Mangel muss der Staat reagieren. Auch die staatliche Förderstruktur muss zukünftig das „Valley of Death“ vermeiden, vor dem Institutionen nach dem Förderende stehen. Digitalisierung, Regelung des Strommarktes und Investitionssicherheit sind Hürden, die noch genommen werden müssen. Doch ohne selbsttragendes Marktumfeld ist die finanzielle Unterstützung umsonst, denn die Wasserstoff-Infrastruktur kann nicht subventioniert werden. Instabile Rahmenbedingungen verhindern Investitionen ebenso wie der rechtliche Rahmen. Zuletzt: Eine Feststellung, dass der Staat die fossilen Energieträger verlassen will, wäre ein Statement für alle Akteurinnen und Akteure in Europa und vor allem Deutschland. Diese Perspektive kann nur von der Politik kommen.
Im Angesicht dieser Herausforderungen scheinen technologische Aspekte fast unbedeutend zu sein, oder täuscht das?
Bessau: Wir haben heute noch immer enorme Herausforderungen in der Technologie, Anwendung, Skalierung und in den Lösungsbeiträgen – aber auch enorme Chancen. Echte industrielle Hochskalierung zu erreichen, ist noch etwas anderes als Forschungs- und Pilotanlagen zu betreiben. Der Mittelstand und viele forschende kleine Unternehmen, die spezifische Komponenten-Lösungen anbieten, könnten auch für die Wasserstoffindustrie von Vorteil sein.
Schlögl: Die wirklichen Herausforderungen erkennt man erst, wenn man skaliert. Für eine Skalierung und Kostenreduktion muss man wissen, wo man einsparen kann, zum Beispiel beim Material. Flüssiger Wasserstoff ist ein äußerst gefährlicher und schwierig zu handhabender Stoff, das erschwert den Transport. Auch hier gibt es noch viele Ideen, die weiterer Forschung bedürfen.
In Deutschland haben wir drei große Kohleregionen. Dazu gehört das Rheinische Revier, in dem PtJ tief verwurzelt ist, sowohl lokal als auch ideell. Inwiefern kann der Wandel hin zum Grünen Wasserstoff einen elementaren Beitrag für die Kohleregionen allgemein und konkret für das Rheinische Revier leisten?
Bessau: Grüner Wasserstoff hat enormes wirtschaftliches Potenzial: für die Grundstoffindustrie, die Produktion oder den Transport. Laut einer Studie könnten 130.000 neue Arbeitsplätze allein in Nordrhein-Westfalen entstehen. Man hat dort eine gute universitäre Forschung zur Infrastruktur, Industrien vor Ort, klassische Kompetenzen, eine starke Energiewirtschaft. Das alles sind große Chancen für die Zukunft.
Schlögl: Dem kann ich nur zustimmen. Wir brauchen aber definitiv mehr Kreativität, um diese brachliegenden Potenziale neu zu verbinden und zu nutzen. Wenn die industriellen Netzwerke neu gedacht werden, können das Rheinische Revier und die anderen Kohleregionen den Wegfall der Kohle sicher verkraften.
Wie nehmen Sie die Einstellung der Menschen zu Grünem Wasserstoff wahr? Akzeptiert die Bevölkerung allgemein und besonders im Rheinischen Revier diese Technologie?
Schlögl: Im Rheinischen Revier gibt es da keine Probleme, eher im Gegenteil. Sie begrüßen und unterstützen den technologischen Wandel, die Leute sind technologieoffen. In Berlin zum Beispiel ist das deutlich schwieriger, denn die Menschen haben dort keinen direkten Bezug zu Grünem Wasserstoff. Der Wissensstand ist unterschiedlich und das führt schnell zu unterschiedlicher Akzeptanz.
Bessau: In einem stark besiedelten und industriell geprägten Land werden wir die Wasserstoff-Infrastruktur massiv ausbauen müssen. Dafür braucht es Akzeptanz. Und dafür braucht es wiederum Offenheit und Transparenz über mögliche Anwendungen. Die Kombination aus Wissen und Nutzen steigert die Akzeptanz des Einzelnen. Ohne die Einbindung von Interessengruppen und ohne breite partizipative Prozesse werden wir den Weg zu einer Grünen Wasserstoffwirtschaft nicht bereiten können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Wasserstoff ist ein flexibler Energieträger, er lässt sich in vielen verschiedenen Anwendungsbereichen einsetzen. Bei der Weiterentwicklung und Vollendung der Energiewende kommt ihm eine zentrale Rolle zu, denn er ermöglicht es mithilfe von erneuerbaren Energien die CO2-Emissionen erheblich zu verringern.
Doch der Markthochlauf der Wasserstofftechnologien bedarf einer starken, nachhaltigen und zur Energiewende beitragenden Wasserstoffproduktion und -verwendung. Für eine langfristige wirtschaftliche und nachhaltige Nutzung von Grünem Wasserstoff sind Erzeugungskapazitäten für Strom aus erneuerbaren Energien, wie der Windenergie und Photovoltaik, unverzichtbar. Nur so kann Grüner Wasserstoff als alternativer Energieträger etabliert werden.
Zur Herstellung von Grünem Wasserstoff wird demnach Grüner Strom genutzt, um Wasser-Elektrolyse zu betreiben: Wasser wird unter Einsatz von Strom in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Die eingesetzte elektrische Energie wird in chemische Energie umgewandelt und im Wasserstoff gespeichert. Dieses Verfahren bezeichnet man auch als „Power-to-Gas“.
Der hierbei gewonnene Wasserstoff wird dann für die Nutzung transportiert. Dafür können bereits vorhandene, hochleistungsfähige Transport- und Verteilinfrastrukturen genutzt, ertüchtigt und weiterentwickelt werden. Deutschland verfügt beispielsweise über ein gut ausgebautes Gasnetz und Gasspeicher, deren Kapazität die größte in Europa ist.
Im Einsatz ist Grüner Wasserstoff eine Chance für alle Sektoren, Treibhausgasemissionen zu reduzieren – vom Hochofen bis zur heimischen Heizung. Denn neben Anwendungen in Industrie, Verkehr und zur Stromversorgung ermöglicht die Nutzung von Grünem Wasserstoff auch einen künftigen Einsatz im Wärmemarkt. So werden allein in Deutschland mehrere Millionen Wohnungen mit Erdgas beheizt, wo auch Wasserstoff eingesetzt werden kann.
Die Texte stammen aus dem Dossier „Grüner Wasserstoff“ des PtJ-Geschäftsberichts 2020.
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